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Friedenspreis 2003

Susan Sontag

Der Stiftungsrat des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat Susan Sontag zur Trägerin des Preises im Jahr 2003 gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 12. Oktober 2003, in der Paulskirche statt. Die Laudatio hält Ivan Nagel.

Begründung der Jury

Mit Susan Sontag ehren wir eine Schriftstellerin, deren erzählendes und essayistisches Werk den Begriff und den Wert der westlichen Kultur untersucht und verteidigt. Mit großer analytischer Schärfe hat sie seit den sechziger Jahren die Ausprägungen der dynamischen Alltagskultur und ihre Bedeutung für unsere Vorstellung von Modernität und Freiheit beschrieben.


Durch ihre Arbeit, die nie das europäische Erbe aus dem Blick verlor, ist sie zu der prominentesten intellektuellen Botschafterin zwischen den beiden Kontinenten geworden. In einer Welt der gefälschten Bilder und der verstümmelten Wahrheiten ist sie für die Würde des freien Denkens eingetreten.

Auch in dem letzten ihrer vielen auch in Deutschland einflussreichen Bücher, »Das Leiden anderer betrachten«, ist sie diesem unverrückbaren Ethos treu geblieben, als Zeugin einer immer noch von Kriegen heimgesuchten Epoche mutig und verantwortungsvoll auf dem Recht der Opfer zu beharren.

Preisverleihung

Reden

Erkenntnis ist Pflicht: Seitdem Sontag schreibt, sucht sie in geistigem Wagnis, oft in physischer Gefahr, nach dem Punkt, von dem aus die Wirklichkeit dieser Zeit sich am schärfsten, schmerzlichsten einsehen läßt.

Ivan Nagel - Laudatio
Ivan Nagel
Laudatio

»Alt« und »neu« sind die ewigen, unumstößlichen Pole aller Wahrnehmung und aller Orientierung in der Welt. Ohne das Alte kommen wir nicht aus, weil sich mit ihm unsere ganze Vergangenheit, unsere Weisheit, unsere Erinnerungen, unsere Traurigkeit, unser Realitätssinn verbinden. Ohne den Glauben an das Neue kommen wir nicht aus, weil sich mit dem Neuen unsere Tatkraft, unsere Fähigkeit zum Optimismus, unser blindes biologisches Sehnen, unsere Fähigkeit zu vergessen verbinden – diese heilsame Fähigkeit, ohne die Versöhnung nicht möglich ist.

Susan Sontag - Dankesrede
Susan Sontag
Dankesrede der Preisträgerin

Chronik des Jahres 2003

+ + + US-Außenminister Powell beschuldigt Anfang Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat den Irak, biologische und chemische Waffen zu besitzen und mit Al-Qaida zusammenzuarbeiten. US-Präsident Bush stellt dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein am 17. März ein zweitägiges Ultimatum, sein Land zu verlassen. Kurz darauf marschieren Soldaten aus Großbritannien und den USA in den Irak ein, Bagdad wird bis zur Besetzung durch US-amerikanische Truppen im April mit satellitengesteuerten Flugkörpern beschossen, die große Opfer auch unter der Zivilbevölkerung kosten. + + +


Unter dem Titel »Agenda 2010« präsentiert Bundeskanzler Schröder im Bundestag ein Reformprogramm, das mit einer umfassenden Reform des Arbeitsmarktes und einem tiefgreifenden Umbau der Sozialsysteme dazu beitragen soll, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. + + + Der frühere FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann stirbt Mitte Mai bei einem Fallschirmsprung. Es wird vermutet, dass Möllemann, der politisch stark angeschlagen und dessen Immunität wenige Stunden zuvor aufgehoben worden war, Suizid begangen hat. + + + Im Juni stellt der Chef der UN-Rüstungskontrollkommission, Hans Blix, fest, dass seine Mitarbeiter keine Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden haben. + + + Ende Juli läuft in Puebla / Mexiko der letzte VW-Käfer vom Band. + + + Mitte Dezember wird der flüchtige Saddam Hussein in der Nähe seiner Heimatstadt Tikrit festgenommen. +++

Biographie Susan Sontag

Susan Sontag wurde am 16. Januar 1933 in New York geboren. Schon als Schülerin literarisch ambitioniert, wurde sie 14-jährig bei Thomas Mann zum Tee eingeladen. Sie studierte Literatur, Theologie und Philosophie an den Universitäten von Berkeley und Chicago und schrieb an der Harvard University ihre Doktorarbeit in Philosophie. Zu weiteren Studien hielt sie sich in Paris und Oxford auf.


Ihr Berufsweg begann 1959 als Mitherausgeberin der Zeitschrift »Commentary«. 1960 wechselte sie in die akademische Lehre und hielt in den 60er Jahren Vorlesungen in Englisch und Philosophie an verschiedenen amerikanischen Colleges und Universitäten. Nebenher arbeitete Susan Sontag als Schriftstellerin. Schon während des Studiums hatte Susan Sontag mit ihrem Mann, dem Soziologen Philip Rieff, an einer Studie über den Einfluss des Psychoanalytikers Sigmund Freud auf die moderne Kultur (»Freud: The Mind of the Moralist«) geschrieben, die das intellektuelle Amerika auf Susan Sontag aufmerksam machte. 1963 veröffentlichte sie mit »The Benefactor« (zu deutsch »Der Wohltäter«) ihren ersten Roman. Mehr Beachtung fanden ihre Essays, die ab 1962 in avantgardistischen Kunst- und Literaturzeitschriften erschienen. Breite Aufmerksamkeit wurde dem Essay »Notes on Camp« (1964) zuteil, in dem Sontag über die neue Sensibilität und die Kunst der Gegenwart nachdachte.

1967 erschien mit »Death Kit«" ihr zweiter Roman. 1968 nahm sie eine Einladung der nordvietnamesischen Regierung zu einem zweiwöchigen Aufenthalt an und schrieb darüber noch im gleichen Jahr den Reisebericht »Trip to Hanoi« (zu deutsch »Reise nach Hanoi«). Einige Kritiker hielten ihr eine starke Vereinfachung der politischen Problematik vor. Aber der Reisebericht unterstrich ihren Ruf, »Amerikas öffentliches Gewissen« zu sein, wie es das amerikanische Magazin »Time« formulierte.

Nach den Vietnam-Erlebnissen wandte sich Sontag dem Film zu. Ihr erster Film (Buch und Regie) entstand 1969 in Schweden mit dem Titel »Duet for Cannibals«, 1971 führte sie Regie bei »Zwillinge« (Brother Carl), 1974 stellte sie ihren Dokumentarfilm über den Yom-Kippur-Krieg unter dem Titel »Promised Lands« vor und musste in den USA den Vorwurf hinnehmen, zu propalästinensisch Stellung bezogen zu haben. 1973 zum Schreiben zurückgekehrt, verfasste sie Kurzgeschichten und Kritiken, die zumeist in der »New York Review of Books« erschienen, 1978 der Essay »Illness as Metaphor«. Viele Jahre später setzte sie sich in »Aids and its Metaphors« mit den gesellschaftlichen Reaktionen auf die Immunschwächekrankheit Aids auseinander.
Grosse Verdienste erwarb sie sich auch als Vermittlerin der europäischen, insbesondere der deutschen Literatur.

Eine erbitterte Kontroverse unter Amerikas linken Intellektuellen entfachte Sontag im Februar 1982, als sie nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen erklärte: »Communism is fascism – successful fascism, if you will.« 1989 organisierte sie einen beeindruckenden Protest US-Intellektueller gegen die Hetzkampagne Khomeinis gegen Salman Rushdie. 1993 reiste Sontag nach Sarajevo und inszenierte dort die bosnische Erstaufführung von Becketts »Warten auf Godot«.
Kurz vor ihrem 60. Geburtstag (1993) eroberte Sontag mit »The Volcano Lover« die US-Bestsellerlisten. Plagiatsvorwürfe begleiteten in den USA 2000 das Erscheinen ihres historischen Romans »In America«. Ungeachtet des öffentlichen Streits wurde sie für dieses Buch mit dem National Book Award ausgezeichnet.

Für Aufsehen sorgte Susan Sontag, als sie 2001 den Jerusalem-Preis entgegennahm und dies mit heftiger Kritik am Preisstifter, dem Staat Israel, und seiner Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten verband. Während des 11. Septembers 2001 hielt sich Susan Sontag als Gast der American Academy in Berlin auf. In Interviews machte sie sich unter anderem Gedanken über die Opfer der amerikanischen Vergeltungspolitik. In ihrem neuesten Buch »Das Leiden anderer betrachten« (Ende August 2003 erschienen) beschäftigt sich Susan Sontag 25 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Essays »Über Fotografie« mit dem Thema Kriegsfotografie – über das Entsetzen, das Bilder hervorrufen und was es auslösen kann.

Susan Sontag ist am 28. Dezember 2004 gestorben.

Auszeichnungen

2003 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
2003 Prinz-von-Asturien-Preis (Kategorie: Geisteswissenschaften und Literatur)
2001 Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft


2000 National Book Award
1994 Montblanc de la culture award
1984 Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres
1979 Wilhelm-Heinse-Medaille, Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz
1978 National Book Critics' Circle Award
1976 Arts and Letters Award der American Academy of Arts and Letters
1966/1975 Guggenheim-Stipendien

Bibliographie

Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke. Tagebücher 1964–1980

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum, Carl Hanser Verlag, München 2013, ISBN 9783446243408, Gebunden, 560 Seiten, 27.90 EUR

Wiedergeboren. Tagebücher 1947–1963

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum, Carl Hanser Verlag, München 2010, ISBN 9783446234949, Gebunden, 384 Seiten, 24.90 EUR

Zur gleichen Zeit. Aufsätze und Reden

Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser, Carl Hanser Verlag, München 2008, ISBN 9783446230040, Gebunden, 296 Seiten, 21.50 EUR

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Worauf es ankommt. Essays

Aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius, Carl Hanser Verlag, München 2005, Gebunden, 454 Seiten, 25.90 EUR, ISBN 9783446160194

Krankheit als Metapher. Aids und seine Metaphern

Aus dem Amerikanischen von Karin Kerten und Caroline Neubaur sowie Holger Fliessbach, Carl Hanser Verlag, München 2003, 149 Seiten 14.90 EUR, ISBN 3-446-20425-3; Frankfurt am Main 2005, 160 Seiten, 9.90 EUR, ISBN 3-596-16243-2

Der Wohltäter. Roman

Aus dem Amerikanischen von Louise Eisler-Fischer, Fischer Tb. 11414, Frankfurt am Main 3. Auflage 2003, 288 Seiten, 8.90 EUR, ISBN 3-596-11414-4

Das Leiden anderer betrachten

Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser, Carl Hanser Verlag, München 2003, Gebunden, 151 Seiten, 15.90 EUR, ISBN 9783446203969

Über Fotografie

Aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien und Gertrud Baruch, Carl Hanser Verlag, München Neuausgabe 2002, 186 Seiten, 17.90 EUR, ISBN 3-446-20252-8; Fischer Tb. 3022, Frankfurt am Main 3. Auflage 2003, 384 Seiten, 9.90 EUR; ISBN 3-596-13794-2

In Amerika. Roman

Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld, Carl Hanser Verlag, München 2001, Gebunden, 480 Seiten, 24.90 EUR, ISBN 9783446200913

So leben wir jetzt

Aus dem Amerikanischen von Karin Graf, Parkett Verlag 1991, ca. 32 Seiten, 14.32 EUR, ISBN 3-907509-16-1

Der Liebhaber des Vulkans. Roman

Aus dem Amerikanischen von Isabell Lorenz, Carl Hanser Verlag, München 1993, 552 S. (vergriffen); Fischer Tb., Frankfurt am Main 4. Auflage 2003, 560 Seiten, 10.90 EUR, ISBN 3-596-10668-0

Todesstation. Roman

Mit einem Nachwort der Autorin zur deutschen Ausgabe. Aus dem Amerikanischen von Jörg Trobitius, Carl Hanser Verlag, München 1985, 376 Seiten; Fischer Taschenbuch 13794, 2. Auflage 2003

Im Zeichen des Saturn. Essays

Aus dem Amerikanischen von Werner Fuld, Karin Kersten, Kurt Neff, Mark W. Rien, Jörg Trobitius und Angela Wittmann-Hauser, Carl Hanser Verlag, München 1981, 208 Seiten, 12. 90 EUR, ISBN 3-446-20424-5; Fischer Tb. 6486, Frankfurt am Main 3. Auflage 2003 (vergriffen)

Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen

Aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien, Carl Hanser Verlag, München 1980, 318 Seiten, 17.90 EUR, ISBN 3-446-20428-8; Fischer Tb. 6484, Frankfurt am Main 7. Auflage 2003, 384 Seiten, 9.90 EUR, ISBN 3-596-26484-7

Ich, etc. Erzählungen

Aus dem Amerikanischen von Marianne Frisch, Carl Hanser Verlag, München 1979, 196 Seiten, 14.90 EUR, ISBN 3-446-20426-1; Fischer Tb. 5240, Frankfurt/Main 4. Auflage 2003, 7.90 EUR, ISBN 3-596-25240-7