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Friedenspreis 2000

Assia Djebar

Der Stiftungsrat Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat die algerische Schriftstellerin Assia Djebar zur Trägerin des Friedenspreises 2000 gewählt. Die Verleihung fand am 22. Oktober 2000 in der Paulskirche statt. Die Laudatio hielt Barbara Frischmuth.

Begründung der Jury

Mit dem Friedenspreis ehrt der Börsenverein »die algerische Schriftstellerin Assia Djebar, die dem Maghreb in der zeitgenössischen europäischen Literatur eine eindringliche Stimme gegeben hat. Sie hat in ihrem Werk ein Zeichen der Hoffnung gesetzt für die demokratische Erneuerung Algeriens, für den inneren Frieden in ihrer Heimat und für die Verständigung zwischen den Kulturen. Den vielfältigen Wurzeln ihrer Kultur verpflichtet, hat Assia Djebar einen wichtigen Beitrag zu einem neuen Selbstbewusstsein der Frauen in der arabischen Welt geleistet.«

Preisverleihung

Assia Djebar im Oktober 2000 bei ihrer Dankesrede in der Paulskirche

Reden

Dieser unbändige Drang nach der Freiheit des Wortes und der Freiheit des Blicks, der dieser Dichterin aus Algerien eignet, hat es ihr ermöglicht, eine Literatur zu schreiben, die den Blick von außen auf die Kultur, der sie entstammt, ständig mit dem Leben in dieser Kultur, dem Erleben des In-ihr-Seins konfrontiert.

Barbara Frischmuth - Laudatio
Barbara Frischmuth
Laudatio

Mein Ziel war, die bleierne Stummheit der algerischen Frauen spürbar zu machen, die Unsichtbarkeit ihrer Körper, denn auch sie kehrte zurück, zusammen mit einer rückschrittlichen, nach außen abgeschotteten Tradition.

Assia Djebar - Dankesrede
Assia Djebar
Dankesrede der Preisträgerin

Chronik des Jahres 2000

+ + + Die Angst vor einem Computer-Chaos durch den Wechsel ins Jahr 2000 erweist sich als unbegründet. Das »große Löschfest« findet nicht statt, weltweit werden keine nennenswerten Probleme registriert. + + + Am 1. Februar rückt die russische Armee nach wochenlangen Gefechten in Grosny / Tschetschenien ein und bringt weite Teile der Stadt unter ihre Kontrolle. Der Tschetschenien-Konflikt verlagert sich in den Untergrund. + + +


+ + + Bundespräsident Rau hält am 16. Februar als erstes deutsches Staatsoberhaupt eine Rede in deutscher Sprache vor der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem. + + + In Hamburg wird Ende Juni ein sechsjähriger Junge von zwei Kampfhunden getötet. Am 30. Juni spricht sich der Bundestag einhellig für ein Verbot der Haltung von Kampfhunden in Deutschland aus. + + + Kurz nach dem Start stürzt am 25. Juli eine Concorde auf dem Weg von Paris nach New York ab. Bei der Katastrophe kommen alle 109 Insassen ums Leben. Die Ursache ist wahrscheinlich ein Metallteil auf der Startbahn, das einen Reifen der Maschine zum Platzen brachte und eine Kettenreaktion auslöste. Der Einsatz der Concorde wird eingestellt. + + + Der Vorsitzende der CDU / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, fordert Ende Oktober, dass sich Einwanderer, die auf Dauer in der Bundesrepublik leben wollen, »einer gewachsenen freiheitlichen deutschen Leitkultur anpassen« müssten. Mit dieser Äußerung löst Merz eine breite Debatte über die Zuwanderungs- und Integrationspolitik in Deutschland aus. + + +

Biographie Assia Djebar

Assia Djebar (eigentlicher Name: Fatima-Zohra Imalayène) wurde 1936 in Cherchell, einer kleinen Küstenstadt bei Algier, geboren. Sie besuchte die Koranschule und die französische Grundschule, an der ihr Vater Französisch unterrichtete. Als erste Algerierin wurde sie an der Ecole Normale Supérieure in Paris zugelassen.


1956, in den ersten Jahren des algerischen Unabhängigkeitskampfes, nahm sie am Streik der algerischen Studenten teil. 1958 heiratete sie Ahmed Ould-Rouis, ein Mitglied der Widerstandsbewegung. Diese Ehe wurde 1975 geschieden. 1980 heiratete sie den Dichter Malek Alloula.
Ihr Debüt als Romanschriftstellerin war der Roman "La Soif" (1957, deutsch "Die Zweifelnde", 1993), den sie innerhalb von zwei Monaten während der Studentenunruhen 1956 geschrieben hatte. "Les Impatients" (1958, deutsch "Die Ungeduldigen", 1959) spielt vor dem Unabhängigkeitskampf und handelt von einer jungen Frau, die sich in ihrer Familie gefangen fühlt. "Les Enfants du nouveau monde" (1962) erzählt von algerischen Frauen, die eigene Forderungen entwickeln; die Heldin nimmt an kollektiven Aktionen zum politischen Wechsel teil. Die Themen Liebe und Krieg, Vergangenheit und Gegenwart werden auch in den nächsten Romanen weitergeführt.

Während des Befreiungskampfes arbeitet Assia Djebar als Journalistin und engagierte sich als Assistentin an der Universität von Rabat in zahlreichen algerischen kulruellen Initiativen.
Anfang der 70er Jahre begann Assia Djebar klassisches Arabisch zu studieren, um ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. In ihren späteren Romanen bereicherte sie denn auch die französische Sprache durch Klänge und Rhythmen des Arabischen.

Ihr langes literarisches Schweigen in den 70er Jahren hing einerseits damit zusammen, dass sie feststellen musste, dass sie nie eine Schriftststellerin arabischer Sprache sein würde, andererseits lag es an ihrem Interesse für andere künstlerische Ausdrucksformen. Sie arbeitete an vielen Theater- und Filmprodukltionen mit. Nach der zehnjährigen Phase des Schweigens erschienen seit 1980, beginnend mit dem Tietel "Die Frauen von Algier" (deutsch 1994), Bücher, in denen Assia Djebar einserseits mit neuen Stilmitteln experimentiert, andererseits den Maghreb in seinen Facetten in Geschichte und Gegenwart einfängt.

Assia Djebar unterrichtete über viele Jahre Geschichte an der Universität von Algier. Seit 1997 ist sie Professorin am Zentrum für französische und frankophone Studien der Louisiana State University. Ihre Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie wurde mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet und ist seit 1999 Mitglied der Königlichen Belgischen Akademie für Französische Sprache und Literatur.

Assia Djebar ist am 6. Februar 2015 im Alter von 78 Jahren in Paris gestorben.

Auszeichnungen

2006 Grinzane-Cavour-Preis
2005 Pablo-Neruda-Preis
2000 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels


1999 Medaille der Frankophonie der Académie française
1999 Berufung zum Mitglied der Königlichen Belgischen Académie für französische Sprache und Literatur
1997 Marguerite Yourcenar Prize
1996 Neustadt International Prize for Literature
1995 Prix Maeterlinck
1989 LiBeraturpreis
1985 Franko-Arabischer Freundschaftspreis für Literatur
1979 Preis der Internationalen Kritik, Venedig
1962 Französischer Kulturpreis

Bibliographie

Nirgendwo im Haus meines Vaters. Roman

Aus dem Französischen von Marlene Frucht, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 9783100145000, Kartoniert, 444 Seiten, 21.95 EUR

Das verlorene Wort. Roman

Aus dem Französischen von Beate Thill, Unionsverlag, Zürich 2004, ISBN 9783293003385, Gebunden, 248 Seiten, 19.90 EUR

Frau ohne Begräbnis. Roman

Aus dem Französischen von Beate Thill, Unionsverlag, Zürich 2003, ISBN 9783293003088, Gebunden, 219 Seiten, 17.90 EUR

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Oran - Algerische Nacht. Roman

Aus dem Französischen von Beate Thill, Unionsverlag, Zürich 2001, ISBN 9783293002913, Gebunden, 316 Seiten, 19.43 EUR

Durst. Roman

Aus dem Französischen von Rudolf Kimmig, Unionsverlag, Zürich 2001, ISBN 9783293002791, Gebunden, 156 Seiten, 14.32 EUR

Die Ungeduldigen. Roman

Aus dem Französischen von Wilhelm Maria Lüsberg, Unionsverlag, Zürich 2000, ISBN 9783293201910, Taschenbuch, 236 Seiten, 8.64 EUR

Die Frauen von Algier. Roman

Aus dem Französischen von Alxandra von Reinhardt, Unionsverlag, Zürich 1999