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Friedenspreis 2001

Jürgen Habermas

Der Stiftungsrat Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas zum Träger des Friedenspreises 2001 gewählt. Die Verleihung fand am 14. Oktober 2001 in der Paulskirche statt. Die Laudatio hielt Jan Philipp Reemtsma.

Begründung der Jury

Mit dem Friedenspreis ehrt der Börsenverein »den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas als den Zeitgenossen, der den Weg der Bundesrepublik Deutschland ebenso kritisch wie engagiert begleitete, der mehr als einer Generation die Stichworte zur geistigen Situation der Zeit vermittelte und der von einer weltweiten Leserschaft als der prägende deutsche Philosoph der Epoche wahrgenommen wird.


Im Rückgang auf die Sprache als kommunikatives Handeln hat er die Imperative der praktischen Vernunft freigelegt, denen wir handelnd und sprechend verpflichtet sind und deren Anerkennung allein friedvolle Verständigung unter den Bedingungen gesellschaftlicher Vielfalt und Verschiedenheit zustande kommen lässt. Durch seine – die empirische Analyse mit normativen Grundlagen verbindende – Gesellschaftstheorie hat er die Tradition kritischer Aufklärung fortgeführt und mit einer weit über sein Fach hinausreichenden Wirkung Freiheit und Gerechtigkeit als die Grundlagen in Erinnerung gebracht, an die jede staatliche Macht gebunden ist und die den unaufgebbaren Kern des demokratischen Gemeinwesens ausmachen.

Reden

Habermas zu historisieren heißt, die von ihm selbst betonte Offenheit seines Werks als Anschlusschance zu nutzen, mit ihm über das 21. Jahrhundert nachzudenken.

Jan Philipp Reemtsma - Laudatio
Jan Philipp Reemtsma
Laudatio

Trotz seiner religiösen Sprache ist der Fundamentalismus ein ausschließlich modernes Phänomen. An den islamischen Tätern fiel sofort die Ungleichzeitigkeit der Motive und der Mittel auf. Darin spiegelt sich eine Ungleichzeitigkeit von Kultur und Gesellschaft in den Heimatländern der Täter, die sich erst infolge einer beschleunigten und radikal entwurzelnden Modernisierung herausgebildet hat.

Jürgen Habermas - Dankesrede
Jürgen Habermas
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 2001

+++ Im Februar 2001 wird George W. Bush als 43. Präsident der USA vereidigt. +++ Mitte Februar greifen die USA und Großbritannien irakische Luftabwehrstellungen bei Bagdad an. Damit reagieren sie auf die zunehmende Bedrohung alliierter Patrouillen-Jets, die nach dem Golfkrieg die Flugverbotszonen im Norden und Süden des Iraks kontrollieren. +++


Bundestag und Bundesrat stimmen Mitte Juni dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« zu. Es beginnt die Auszahlung der Entschädigungsgelder an ehemalige KZ-Häftlinge, zivile Zwangsarbeiter und Opfer der »Arisierung« jüdischer Vermögenswerte. +++ Am 11. September um 8.45 Uhr rast ein Flugzeug in einen Turm des World Trade Centers in New York. Um 9.03 Uhr fliegt eine zweite Maschine in den 411 Meter hohen Zwillingsturm. Beide Türme brechen zusammen. Wenig später stürzt eine Passagiermaschine ins Pentagon. Um 10.29 Uhr zerschellt bei Pittsburgh / Pennsylvania eine vierte Maschine. An Bord der entführten Flugzeuge sterben insgesamt 265 Insassen, darunter 19 Terroristen. Im Pentagon kommen vermutlich 190 Menschen ums Leben. Die Zahl der Opfer wird bei den Anschlägen auf über 3000 geschätzt. Tags darauf stellt die NATO zum ersten Mal seit ihrem Bestehen den kollektiven Verteidigungsfall fest. Die USA verlangen von der Taliban-Führung in Kandahar die Auslieferung Osama bin Ladens, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Terrorakte. Anfang Oktober beginnen Luftangriffe der USA auf Afghanistan mit britischer Unterstützung und gebilligt von einer breiten internationalen Koalition. Im Dezember zerbricht nach langwierigen Kämpfen die Taliban-Herrschaft in Afghanistan. +++ Unter starken Sicherheitsvorkehrungen wird Ende November in Berlin die neue Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944« vorgestellt. +++ Im Dezember werden erste Ergebnisse der PISA-Studie (Programm zur vergleichenden internationalen Bewertung von Schülern) veröffentlicht. Die deutschen Schüler schaffen es in der Gesamtbewertung nur auf Platz 25. +++

Biographie Jürgen Habermas

Jürgen Habermas, geboren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf, promoviert 1954 nach dem Studium der Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie in Bonn. Seine akademische Karriere beginnt er, nach der Habilitation in Marburg, 1961 als außerordentlicher Professor für Philosophie und Soziologie an der Universität Heidelberg. 1964 wird er an die Universität Frankfurt am Main – als Nachfolger von Max Horkheimer – berufen.


Habermas gilt als der prägendste deutsche Philosoph der Gegenwart, der vor allem in den 70er Jahren innovative Diskussionen in den Sozialwissenschaften fördert. Der aus der »Frankfurter Schule« hervorgegangene Schüler der Sozialphilosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer führt die Kritische Theorie der Gesellschaft in praktischer Absicht fort und wird während der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre als Wissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
1971 geht Habermas als Direktor an das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. 1980 wird er Direktor des Starnberger Max-Planck-Instituts für Sozialwissenschaften. 1981 tritt er von diesem Amt zurück und wechselt 1983 auf den Lehrstuhl für Philosophie (Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie) an der Universität Frankfurt am Main.

Auch nach seiner Emeritierung 2001 ist Jürgen Habermas, der inzwischen zu den meistübersetzten Autoren deutscher Sprache gehört, als Wissenschaftler, Autor und Universitätslehrer tätig und nimmt am gesellschaftlichen Diskurs kritisch und anregend Anteil.

Auszeichnungen

2018 Großer Deutsch-Französischer Medienpreis
2015 Kluge-Preis
2013 Erasmuspreis


2013 Das Glas der Vernunft (Kasseler Bürgerpreis)
2012 Heinrich-Heine-Preis (Stadt Düsseldorf) und Kultureller Ehrenpreis der Landeshauptstadt München
2012 Georg-August-Zinn-Preis
2011 Viktor-Frankl-Preis
2009 Ehrenbürger der Stadt Starnberg
2008 Jaime-Brunet-Preis für Menschenrechte
2008 Europapreis für politische Kultur der Hans Ringier Stiftung
2006 Staatspreis des Landes Nordrhein
2006 Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch
2005 Holberg-Preis
2004 Kyoto-Preis
2003 Prinz-von-Asturien-Preis Sozialwissenschaften
2001 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1999 Hessischer Kulturpreis, Theodor-Heuss-Preis
1995 Karl-Jaspers-Preis
1987 Sonning-Preis der Universität Kopenhagen
1986 Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis
1985 Geschwister-Scholl-Preis
1980 Theodor-W.-Adorno-Preis

Bibliographie

Im Sog der Technokratie. Kleine politische Schriften XII

Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, ISBN 9783518126714,Taschenbuch, 193 Seiten, 12.00 EUR

Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, ISBN 9783518585818, Gebunden, 350 Seiten, 34.95 EUR