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Friedenspreis 1960

Victor Gollancz

Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den englischen Verleger und Autor Victor Gollancz zum Träger des Friedenspreises 1960. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Mittwoch, 21. September 1960, in der Paulskirche zu Frankfurt statt. Die Laudatio hält Bundespräsident Heinrich Lübke.

Begründung der Jury

Dem unermüdlichen Rufer im Streit um die Rechte des Menschen, der in Wort und Schrift sich furchtlos einetzte für soziale Gerechtigkeit und für den Frieden unter den Völkern, Victor Gollancz, dem opferwilligen, bescheidenen Helfer, der dazu beigetragen hat, dem deutschen Volke in schwerer Bedrängnis den Glauben an die Verantwortung des Einen für den Anderen un der Welt zu erhalten, verleihen wir den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Preisverleihung

Reden

Zum ersten Male ist der Friedenspreisträger ein Mann unseres eigenen Berufsstandes. Das macht uns stolz. Es hilf mit, uns deutsche Buchhändler gewisser zu machen in der Aufgabe, die wir uns mit der Vergebung des Friedenspreises selbst gestellt haben.

Werner Dodeshöner - Grußwort
Werner Dodeshöner
Grußwort des Vorstehers

Es ist Victor Gollancz damals gelungen, die Trägheit der Herzen und die Verdunkelung der Gehirne in weiten Kreisen der englischen Bevölkerung zu überwinden. Wir haben es ihm zu danken, daß der Bann damals wenigstens teilweise gebrochen und auch das Verbot der Fraternisierung aufgehoben wurde. Gerade hierin sah er die schlimmste Sünde gegen die Menschlichkeit.

Heinrich Lübke - Laudatio auf Victor Gollancz
Heinrich Lübke
Laudatio

Ich erinnerte mich an die Worte William Blakes: ‚Every criminal was once an Infant Joy’ – jeder Verbrecher war als ein Kind die fleischgewordene Freude. Ich konnte Hitler nicht hassen. Und von der Tiefe meines Herzens sage ich nun in dieser Halle, die einst ein Gotteshaus war: ‚Möge seine gequälte Seele in Frieden ruhen.'

Victor Gollancz - Dankesrede
Victor Gollancz
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1960

+++ Nach einer Schätzung liegt 1960 die nukleare Sprengkraft von USA und UdSSR bei etwa 4 Tonnen TNT pro Kopf der Erdbevölkerung. +++ Im Laufe des Jahres entlässt Frankreich alle west- und zentralafrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit. +++ Der israelische Ministerpräsident Ben Gurion gibt im März bekannt, dass der israelische Geheimdienst den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann verhaftet hat. +++


+++ Nach dem Tod von Wilhelm Pieck am 7. September wird das Amt des Staatspräsidenten der DDR abgeschafft und durch ein kollektives Staatsoberhaupt, den »Staatsrat der DDR« ersetzt. Erster »Staatsratsvorsitzender« wird Walter Ulbricht. +++ Im November gewinnt John F. Kennedy die US-Präsidentschaftswahlen. In seiner Antrittsrede fordert er persönliche Initiative von jedem Einzelnen im Kampf gegen Armut, Krankheit und Tyrannei. +++ In Frankfurt am Main wird Ende März das erste Autokino der Bundesrepublik eröffnet. +++ Das Jugendarbeitsschutzgesetz tritt im August in Kraft. Das Mindestalter für eine Beschäftigung wird auf 14 Jahre festgelegt und die Akkord- und Fließbandarbeit für Jugendliche verboten. +++ Unter dem Namen »Enovid« bietet eine US-amerikanische Firma die erste Antibabypille zur Empfängnisverhütung an. +++

Biographie Victor Gollancz

Der am 9. April 1893 in London geborene Victor Gollancz studiert Theologie und schließt sich bereits in jungen Jahren der Labour Party an. Nach jahrelanger Lehrtätigkeit lernt er bei einem der führenden Verleger Englands das Verlagswesen, gründet 1927 einen Verlag und hat mit seinen “Yellow Books” sogleich großen Erfolg.


1938 gründet er den “Left Book Club”, der zu einer wichtigen Plattform für sozialistisch orientierte Autoren wird. Als überzeugter Sozialist gerät er in das Dilemma, durch die politischen Bücher, die er herausgibt, immer wohlhabender zu werden. Einen Großteil seines Geldes gibt er daher für wohltätige Zwecke aus.

Während der Zeit des Nationalsozialismus hilft Gollancz, Sohn einer polnischjüdischen Familie und entschiedener Pazifist, deutschen Juden bei der Flucht. Er versucht, England und die damalige Labour-Partei über Hitler und seine Ziele aufzuklären und bricht 1939, als Stalin sich mit Hitler verbündet, mit dem Kommunismus.

Nach Kriegsende setzt er sich sofort dafür ein, den hungernden Menschen in Deutschland zu helfen, und spricht sich gegen die These einer Kollektivschuld aller Deutschen aus. Er wird zum Initiator der Organisation “Save Europe Now”. Wegen seiner nachsichtigen Haltung Deutschland gegenüber wird er in seiner Heimat angefeindet.

Victor Gollancz stirbt am 8. Februar 1967 im Alter von 73 Jahren.

Auszeichnungen

1965 Ritterschlag zum Knight Bachelor durch Elisabeth II.
1960 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1953 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern
1949 Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main
1949 Ehrendoktorwürde der Universität Frankfurt am Main

Bibliographie

Mein lieber Timothy. Ein autobiographischer Brief an meinen Enkel; Erinnerungen

(„My dear Timothy“ und „More for Timothy“). Neuausg. Bertelsmann, Gütersloh 1960 (frühere Ausgabe in den zwei Bänden: „Aufbruch und Begegnung“ und „Auf dieser Erde“)

Stimme aus dem Chaos. Eine Auswahl der Schriften

Nest-Verlag, Frankfurt/M. 1960 (hrsg. von Julius Braunthal)

Unser bedrohtes Erbe

(orig. „Our Threatened Values“) Atlantis-Verlag, Zürich 1947

In Darkest Germany

Gollancz, London 1947

Leaving them to their fate: the ethics of starvation

('Ihrem Schicksal überlassen: Die Ethik der Aushungerung'). Gollancz, London 1946

Shall our children live or die? A reply to Lord Vansittart on the German problem

Gollancz, London 1942

Political education at a public school

Gollancz, London 1918 (zusammen mit David Somervell)

Laudator Heinrich Lübke

Heinrich Lübke wurde am 14. Oktober 1894 in Enkhausen im Sauerland geboren. Nach dem Abitur studierte er Landwirtschaft, Geodäsie und Kulturtechnik, später auch Volkswirtschaft, Verwaltungsrecht und Boden- und Siedlungsrecht. Er nahm freiwillig am Ersten Weltkrieg teil.


Zunächst arbeitete er als Geschäftsführer des Westfälischen Pächter- und Siedlerbundes. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Gründung der "Deutschen Bauernschaft" 1926, für die er auch beruflich tätig war. Für die Zentrumspartei zog er 1931 in den Preußischen Landtag ein. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verlor Lübke alle seine Ämter und wurde inhaftiert. Nach 20 Monaten, am 10. Oktober 1935, wurde er aus der Haft entlassen und war nun im Bauwesen tätig.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für das Architektur- und Ingenieurbüro Schlempp, das zur Arbeit für Albert Speer dienstverpflichtet wurde und unter anderem einige Baracken baute, die für Konzentrationslager bestimmt waren. Nach dem Krieg trat Lübke der CDU bei, erhielt ein Landtagsmandat in Nordrhein-Westfalen und war von 1947 bis 1952 Landesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - ein in den Hungerjahren bis 1948 besonders wichtiger Arbeitsbereich. Ein 1949 errungenes Bundestagsmandat gab er nach einem Jahr wieder auf, weil die Arbeitsbelastung beider Ämter zu groß war. 1953 zog er erneut in den Bundestag ein und wurde Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

1959 wurde Lübke zum Bundespräsidenten gewählt. Das wichtigste außenpolitische Projekt war ihm die Entwicklungshilfe, die Bekämpfung des Hungers in der Welt.

Auch das Thema der deutschen Wiedervereinigung sprach er bei Auslandsbesuchen immer wieder an. Innenpolitisch setzte er sich für eine Einbeziehung der SPD in die Regierungsverantwortung ein, wie sie in Form der Großen Koalition zwischen 1966 und 1969 Realität wurde. 1964 wurde Lübke mit großer Mehrheit für eine weitere Amtszeit gewählt.

Gegen Ende der zweiten Amtszeit startete die DDR eine Kampagne gegen ihn, in der sie ihn wegen seiner Tätigkeit für das Architekturbüro Schlempp als "KZ-Baumeister" diffamierte. Diese Kampagne, die auch in der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen wurde, schadete dem Ruf Lübkes. Ein sofortiger Rücktritt verbot sich, da er als Schuldeingeständnis gedeutet worden wäre, ebenso wie ein langwieriges gerichtliches Vorgehen gegen die Verleumder, unter dem der Ruf des Amtes ebenfalls gelitten hätte. Diese Kampagne und der Verfall seiner Gesundheit brachten Lübke zu dem Entschluss, sein Amt zehn Wochen vor Ablauf der Amtszeit 1969 niederzulegen.

Er starb am 6. April 1972 nach einer Magenoperation.

Quelle: www.bundespraesident.de