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Friedenspreis 2013

Swetlana Alexijewitsch

Der Stiftungsrat hat die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch zur Trägerin des Friedenspreises 2013 gewählt. Die Preisverleihung fand am 13. Oktober 2013 in der Frankfurter Paulskirche statt. Die Laudatio hielt der deutsche Historiker Karl Schlögel.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2013 an Swetlana Alexijewitsch und ehrt damit die weißrussische Schriftstellerin, die die Lebenswelten ihrer Mitmenschen aus Weißrussland, Russland und der Ukraine nachzeichnet und in Demut und Großzügigkeit deren Leid und deren Leidenschaften Ausdruck verleiht. 


Mit den Berichten über Tschernobyl, über den sowjetischen Afghanistankrieg und über die unerfüllten Hoffnungen auf ein freiheitliches Land nach dem Auseinanderbrechen des Sowjetimperiums lässt sie in der tragischen Chronik der Menschen einen Grundstrom existentieller Enttäuschungen spürbar werden. 

Swetlana Alexijewitsch hat durch die Komposition ihrer Interviews, die auch die Grundlage ihres neuesten Buches »Secondhand-Zeit« bilden, zu einer eigenen literarischen Gattung gefunden, zu einer chorischen Zeugenschaft. Als moralisches Gedächtnis hinterfragt sie, ob Frieden, Freiheit und
Gerechtigkeit nicht die besseren Alternativen wären.

Preisverleihung

Aus den Händen von Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder erhält Swetlana Alexijewitsch ihre Friedenspreisurkunde.

Reden

Die Stummen und »Beschwiegenen« in einer solchen Weise sprechen zu lassen, erfordert nicht nur - wie man zu Recht gesagt hat - »Demut und Großzügigkeit«, sondern eine ganz neue Weise schriftstellerischer Arbeit, nämlich den eigenen Roman als einen Roman der Stimmen zu schreiben und dies nicht gefiltert und verklärt, sondern in der »harten Lagerprosa«, die Swetlana Alexijewitsch für den Leser erfahrbar machen möchte.

Gottfried Honnefelder - Grußwort
Gottfried Honnefelder
Grußwort des Vorstehers

„Als Schriftstellerin hat sie gegen die autoritären Regime im postsowjetischen Raum, nicht nur in Belarus, nichts aufzubieten als ihr Wort – beharrlich, furchtlos, ergreifend. Dieses Wort ist stark, darin ist von einer Wirklichkeit die Rede, die stärker ist als die manipulierte Wahrheit der von der Macht kontrollierten Medien.

Karl Schlögel - Laudatio
Karl Schögel
Laudatio auf Swetlana Alexijewitsch

Wir entdeckten, dass Freiheit nur auf der Straße ein Fest war, im Alltag aber war das etwas ganz anderes. Freiheit ist eine anspruchsvolle Pflanze, sie gedeiht nicht an jedem Ort, aus dem Nichts. Allein aus unseren Träumen und Illusionen.

Swetlana Alexijewitsch - Dankesrede
Swetlana Alexijewitsch
Dankesrede

Chronik des Jahres 2013

+ + + Gründung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Oberursel. + + + Zum ersten Mal seit 1294 tritt mit Benedikt XVI. ein Papst aus eigener Entscheidung zurück. + + + Mit Franziskus wird erstmals ein Lateinamerikaner zum Bischof von Rom gewählt. + + + Bei einem Gebäudeeinsturz in Sabhar in Bangladesch kommen mehr als 1100 Menschen ums Leben und mehr als 2400 werden verletzt. + + + In der Türkei beginnen Proteste gegen die Regierung Erdoğan. + + +


+ + + Aufgrund starker Regenfälle kommt es in Deutschland sowie weiteren Ländern Mitteleuropas zu schweren Überflutungen. + + + Aus den Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, resultiert die NSA-Affäre, die zu weltweiten Protesten gegen die Spionagevorkehrungen der Vereinigten Staaten führt. + + + Durch einen Militärputsch wird der gewählte ägyptische Präsident Mohammed Mursi abgesetzt. + + + Bei Unruhen in Ägypten werden mehr als 600 Menschen getötet und Tausende verletzt. + + + Bei Angriffen in der Region Ghuta werden im Rahmen des Bürgerkriegs in Syrien mehrere hundert Menschen getötet und zahlreiche verletzt. + + + Beginn politischer Proteste in der Ukraine + + + Irland verlässt den Euro-Rettungsschirm. + + + Beim Untergang eines Schiffes mit überwiegend afrikanischen Bootsflüchtlingen vor der Isola dei Conigli bei Lampedusa kommen im Mittelmeer mindestens 366 Menschen ums Leben. + + + Bei einem weiteren Bootsunglück vor Lampedusa ertrinken 268 Menschen. + + + Bei der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag kann die FDP die 5-Prozent-Hürde nicht überwinden + + + In Deutschland übernimmt eine Große Koalition die Regierungsgeschäfte. + + + Der Bundestag wählt Angela Merkel zur Bundeskanzlerin + + + Durch den Supertaifun Haiyan kommen auf den Philippinen mehr als 5.500 Menschen ums Leben und etwa vier Millionen werden obdachlos. + + + Bei zwei Anschlägen werden im russischen Wolgograd mehr als 30 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. + + +

Biographie Swetlana Alexijewitsch

Swetlana Alexijewitsch wird am 31. Mai 1948 im westukrainischen Stanislaw (heute Iwano-Frankowsk) als Tochter einer Ukrainerin und eines weißrussischen Soldaten geboren. Nach dessen Militärzeit kehren sie zurück nach Weißrussland, wo die Eltern in einem Dorf als Lehrer arbeiten. Bereits während ihrer Schulzeit verfasst Alexijewitsch einige Gedichte und Artikel für die Schulzeitung. Die zwei Jahre Arbeitsnachweis – Voraussetzung in der UdSSR für die Aufnahme eines Studiums – leistet sie 1965 als Erzieherin in einer Internatsschule, als Dorflehrerin und ab 1966 bei einer Lokalzeitung in Narowl (Gomel) ab. Anschließend nimmt sie an der Staatsuniversität Minsk ein Studium der Journalistik auf, das sie 1972 beendet.


Im Anschluss an das Studium arbeitet Alexijewitsch bei einer Lokalzeitung in Beresa (Brest) sowie als Lehrerin an der dortigen Schule. Im Jahr darauf nimmt sie eine Stelle bei der »Land-Zeitung« in Minsk an und entscheidet sich somit für eine rein journalistische Laufbahn. 1976 wechselt sie als Korrespondentin zum Literaturmagazin »Neman« und wird kurz darauf Abteilungsleiterin für Publizistik. Im gleichen Jahr stellt sie ihr erstes Buch »Ich habe das Dorf verlassen« fertig. Allerdings wird die Veröffentlichung wegen der darin enthaltenen Kritik an der rigiden Passpolitik der sowjetischen Regierung, die dafür sorgt, dass Dorfbewohner nicht in die Städte ziehen dürfen, unterbunden. Später lehnt Alexijewitsch selbst eine Veröffentlichung ab, weil sie das Buch als zu »journalistisch« empfindet.

In der folgenden Zeit versucht sich Alexijewitsch in weiteren literarischen Genres wie Kurzgeschichten, Essays und Reportagen. Der weißrussische Schriftsteller Ales Adamowitsch, der einen neuen literarischen Weg, den einer »kollektiven Novelle«, entwickelt, unterstützt sie bei ihren Bemühungen, eine literarische Methode zu finden, die »eine größtmögliche Annäherung an das wahre Leben« erlaubt, um einen Chorus individueller Stimmen als Collage des tagtäglichen Lebens zu erstellen. 

Erstmals wendet Swetlana Alexijewitsch diese Methode in dem Buch »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« an, das sie im Jahr 1983 vollendet. Mit Hilfe zahlreicher Interviews thematisiert sie hier das Schicksal sowjetischer Soldatinnen – der Frontkämpferinnen, Partisaninnen und Zivilangestellten – in und nach dem Zweiten Weltkrieg. Während der folgenden zweijährigen Auseinandersetzungen mit der Zensurbehörde über eine Veröffentlichung wird sie zudem angeklagt, die »Ehre des Großen Vaterländischen Krieges« beschmutzt zu haben, und verliert aufgrund ihrer angeblichen »antikommunistischen Haltung« ihre Anstellung. Erst 1985 (dt. 1987) kann es mit Beginn der Perestroika in der Sowjetunion gleichzeitig in Minsk und Moskau veröffentlicht werden. Das Buch, von dem bis heute allein in Russland mehr als 2 Millionen Exemplare verkauft wurden, wird von den Lesern und der Kritik begeistert aufgenommen. Gleichzeitig entstehen sowohl eine Theaterfassung des Buches und ein Dokumentarfilm, der mit der „Silbernen Taube“ auf der Internationalen Dokumentarfilmwoche in Leipzig ausgezeichnet wird.

Ihr folgendes Buch »Die letzten Zeugen« (1985, dt. 1989) erscheint im gleichen Jahr, nachdem es wegen des fehlenden ideologischen Bekenntnisses der Autorin ebenfalls zuerst nicht veröffentlicht werden durfte. Alexijewitsch schildert hier neben der Sicht auf den Krieg durch die Augen von Kindern und Frauen auch die leidvollen Erfahrungen ihrer eigenen Familie im Zweiten Weltkrieg und während der Stalinzeit. In der Zeit der Perestroika der Regierung unter Michail Gorbatschow wird es für sie möglich, freier zu arbeiten. Sie realisiert zahlreiche Rundfunk- und Fernsehsendungen, arbeitet mit Filmregisseuren zusammen und verfasst Drehbücher und Theaterstücke, unter anderem für den bekannten Moskauer Theaterregisseur Anatoli Efros.

Wie bei jedem ihrer Bücher arbeitet Alexijewitsch auch an dem folgenden Werk »Zinkjungen« (1989, dt. 1992) mehrere Jahre und führt dabei mehr als fünfhundert Interviews mit Veteranen aus dem sowjetischen Afghanistankrieg und Müttern von gefallenen Soldaten, den so genannten Zinkjungen, deren Überreste in Zinksärgen überführt wurden. Auch wegen dieses Buches, mit dem sie für eine Entmythologisierung des zehn Jahre dauernden Krieges sorgt, steht sie ab 1992 mehrmals ins Minsk vor Gericht, ohne dass es aber zu einer Verurteilung kommt.

Nach »Im Banne des Todes« (1993, dt. 1994), das sich mit den Selbstmordversuchen derjenigen auseinandersetzt, die den Niedergang des sowjetischen Reiches nicht verkraften konnten, folgt ihr Werk über die Reaktorkatastrophe in der Ukraine. »Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft« (1997) ist ein psychologisches Porträt der von der Katastrophe direkt betroffenen Menschen, ein »ungeheuerliches Requiem der Klage und der Anklage« (Frankfurter Rundschau). Gerade wegen der erschütternden Berichte der Betroffenen darüber, wie sie mit den Folgen des Atomunfalls umgehen, wird dieses Buch für die Menschen weltweit zu einem Lehrstück im Umgang mit den Folgen einer Atomkatastrophe. Da ihre Bücher seit der Machtergreifung durch den jetzigen Präsidenten Alexander Lukaschenko 1994 in ihrem Heimatland nicht mehr verlegt und aus den Lehrplänen der Schulen gestrichen werden, kauft Alexijewitsch mit dem Preisgeld, das sie für den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 1998 erhält, russische Ausgaben des Tschernobyl-Buches und führt sie heimlich nach Weißrussland ein.

Die Angriffe durch das weißrussische Regime verstärken sich, Swetlana Alexijewitsch wird unter anderem beschuldigt, für die CIA zu arbeiten. Ihr Telefon wird abgehört, öffentliche Auftritte werden ihr untersagt. Das Netzwerk »International Cities of Refuge Network« (ICORN) gewährt ihr im Jahr 2000 Zuflucht. Sie zieht für einige Jahre nach Paris, anschließend erhält sie Stipendienaufenthalte unter anderem für Stockholm und Berlin, wo sie als Gast des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ihr jüngstes Buch fertig stellt. 2011 geht sie trotz ihrer oppositionellen Haltung gegenüber dem diktatorischen System in Weißrussland, das ihr ein freies Leben und Arbeiten erschwert, zurück nach Minsk.  

Für ihr Gesamtwerk, das sich mit dem Buch »Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus« über die schwierige Suche nach einer neuen Identität während der gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen Jahre wie eine fortlaufende Geschichte Russlands seit dem Zweiten Weltkrieg liest, hat Alexijewitsch ihre eigene literarische Gattung, den »Roman der Stimmen« kontinuierlich ästhetisch weiterentwickelt. Indem sie die geführten Interviews für jedes Buch zu einem Gesamtbild komponiert, versucht sie herauszuarbeiten, »wie viel Menschlichkeit in jedem einzelnen Menschen, den ich interviewt habe, zu finden ist und wie ich diese wiederum bei jedem beschützen kann«. Mit dieser Herangehensweise einer emotionalisierten Geschichtsschreibung ist Swetlana Alexijewitsch zum moralischen Gedächtnis für die Menschen in den ehemaligen sowjetischen Staaten geworden.

Die Bücher von Swetlana Alexijewitsch sind in mittlerweile 35 Sprachen veröffentlicht und dienen als Vorlage für Theaterstücke, Hörspiele und Dokumentarfilme. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt den polnischen Ryszard-Kapuœciñski-Preis für literarische Reportagen (2011) und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2013).

Auszeichnungen

2018 Anna-Politkowskaja-Preis
2015 Nobelpreis für Literatur
2013 Prix Médicis essai
2013 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels


2011 Ryszard-Kapuścińki-Preis für literarische Reportagen
2005 National Book Critics Circle Award
2001 Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis
2000 Robert-Geisendörfer-Preis
1999 Herder-Preis
1998 Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
1998 Das politische Buch, Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung
1996 Tucholsky-Preis des schwedischen P.E.N.
1986 Preis des Leninschen Komsomol
1985 Fedin-Literaturpreis
1984 Nikolai-Ostrowski-Literaturpreis

Bibliographie

Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt, Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, München 2013, 576 Seiten, ISBN 978-3-446-24150-3, 27,90 €

Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft

Aus dem Russischen (Tschernobylskaja molitwa, 1997) übersetzt von Ingeborg Kolinko, Berliner Taschenbuch-Verlag, Berlin 1997 (Vergriffen) - Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 372 Seiten, ISBN 978-3-518-46956-9, 18,00 €

Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg

Aus dem russischen Original (Poslednyje swedeteli 1989) von Ganna-Maria Braungardt. Berlin: Hanser-Berlin 2014, 304 Seiten, ISBN 978-3446246478, 22,90 €

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Seht mal, wie ihr lebt. Russische Schicksale nach dem Umbruch

Aufbau Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-7466-7020-9. (Deutsche Erstausgabe: Fischer, Frankfurt am Main 1994 unter dem Titel Im Banne des Todes. Geschichten russischer Selbstmörder. ISBN 3-10-000818-9).

Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 978-3-10-000816-9, Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe. Hanser Berlin, München 2014, ISBN 978-3-446-24528-0

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht

Henschel verlag, Berlin 1987, ISBN 978-3-362-00159-5 (vergriffen) - erweiterte und aktualisierte Neuausgabe; übersetzt von Ganna-Maria Braungardt. Hanser Berlin, München 2013, ISBN 978-3-446-24525-9

Laudator Karl Schlögel

Karl Schlögel, geboren am 7. März 1948 in Hawangen im Allgäu, studiert an der Freien Universität Berlin sowie in Moskau und Leningrad. 1981 erfolgt die Promotion in Berlin. Fortan macht sich Karl Schlögel einen Namen als freier Autor und Wissenschaftler, wobei er sich neben verschiedenen Arbeiten zur Geschichte Osteuropas vornehmlich auch mit kulturgeschichtlichen Fragen beschäftigt.


1990 folgt er dem Ruf auf die Professur für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz. Den Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder nimmt er 1994 an, wo er, unterbrochen von Forschungsaufenthalten in Oxford, Budapest, Uppsala und München, bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 2013 lehrt. 

Das internationale Ansehen Karl Schlögels begründet sich in seinen Veröffentlichungen. Früh schon bildet die Auseinandersetzung mit dem Alltag in Russland und in der Sowjetunion einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Bereits in „Moskau lesen“ (1984) wird seine ungewöhnliche Herangehensweise, eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen in seine Schriften einzubauen, deutlich. In den folgenden Jahren dehnt er seinen Blick auf ganz Osteuropa aus. In dem Essayband „Promenade in Jalta und andere Städtebilder“ (2001) sowie in weiteren Büchern erörtert er optimistisch, inwieweit sich das östliche Europa aus eigener Kraft regenerieren kann.  Weitere Schwerpunkte seiner Forschung bilden die Spuren deutscher Geschichte im osteuropäischen Raum sowie Flucht- und Wanderbewegungen in diesem Gebiet. Er hebt dabei früher als andere hervor, dass Osteuropa zum kulturellen Bestand Gesamteuropas gehört.

Eine Systematisierung seiner Arbeit legt Karl Schlögel in dem Werk „Im Raume lesen wir die Zeit“ (2003) vor. Geschichte ereignet sich, so der Tenor des Buches, nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum. Dabei sollten neben theoretischem Diskurs, der statistischen Empirie und der Ereignisgeschichte die Beschreibung der Lebenswirklichkeit und deren subjektive Wahrnehmung wieder eine größere Rolle spielen. Für sein Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ (2008), in dem er beschreibt, wie im Schatten des Terrors, dem binnen eines Jahres anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fallen, das Regime um Stalin eine neue Gesellschaft aufbauen will, wird ihm 2009 der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung zugesprochen. Im gleichen Jahr hält er die Laudatio auf den italienischen Friedenspreisträger Claudio Magris.   

2012 erhält Karl Schlögel den Hoffmann-von-Fallersleben-Preis und den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis. Im September 2013 erscheint sein neues Buch „Grenzland Europa: Unterwegs auf einem neuen Kontinent“, eine Sammlung von Essays und Reden, in denen er die Leistung der Menschen Osteuropas in den Vordergrund stellt, ohne die ein neues Europa nicht zustande kommt. 

Karl Schlögel war von 2011 bis 2016 Mitglied im Stiftungsrat für den Friedenspreis. Er lebt mit seiner Frau, der Publizistin Sonja Margolina, in Berlin und hat eine Tochter.

News

"Eine Wohnung ist ja nicht nur ein Ort, an dem man wohnt." (Die Zeit, 18. Dezember 2023)

Swetlana Alexijewitsch, Friedenspreisträgerin 2013, fürchtet, dass ihre Wohnung in Minsk beschlagnahmt werden könnte.