Friedenspreis 1966
Augustin Kardinal Bea und Willem A. Visser 't Hooft
Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat beschlossen, den Friedenspreis 1966 an zwei Persönlichkeiten zu verleihen, an die Theologen Augustin Kardinal Bea und Willem A. Visser't Hooft. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 25. September 1966, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Paul Mikat.
Begründung der Jury
Der deutsche Buchhandel verleiht 1966 den Friedenspreis zwei Männern gemeinsam, Augustin Kardinal Bea und Willem A. Visser 'T Hooft.
Beide haben in vorbildlicher Gesinnung für den religiösen Frieden gewirkt, durch ihre theologischen Schriften und Reden den Dialog zwischen den Konfessionen vorbereitet und so entscheidend zu der sich anbahnenden Versöhnung der Christen beigetragen. Sie haben ihr Wirken für die Einheit im Glauben zugleich als einen Dienst am Frieden in der Welt verstanden und sind so, ein jeder auf seine Weise, zu Wegbereitern des Friedens unter den Menschen geworden.
Durch diese Ehrung sollen alle, die für einen auf gegenseitiger Achtung gegründeten Frieden zwischen Religionen, Weltanschauungen und Völkern eintreten, in ihren Bemühungen ermutigt werden.
Reden
In diesem Jahre hat der Stiftungsrat den Preis erstmalig zwei Persönlichkeiten zuerkannt, deren zu ehrende Leistung für die Menschheit in dem gemeinsamen Bemühen für den religiösen Frieden unter den Menschen gesehen wurde. Der Dialog zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen steht im Mittelpunkt unserer Ehrung.
Friedrich Georgi - Grußwort
Friedrich Georgi
Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Grußwort
Zum 17. Mal verleiht der Buchhandel des freien Deutschlands den Friedenspreis - zum 16. Mal hier an historischer Stätte in der Paulskirche zu Frankfurt am Main. Es ist dies der alljährliche Höhepunkt buchhändlerischen Wirkens und Strebens, und ich danke Ihnen allen, daß Sie diese Feierstunde mit uns begehen.
Mein besonderer Gruß und Dank gilt Ihnen, hochverehrter Herr Bundespräsident, der Sie uns erneut durch Ihre Anwesenheit auszeichnen. Im Jahre 1960 haben Sie selbst die Laudatio auf den englischen Verleger Victor Gollancz gehalten, den bisher einzigen Träger dieses Preises aus unserem eigenen Berufsstand, an der Verleihung des Friedenspreises an Sarvepalli Radhakrishnan im Jahre 1961 und an Gabriel Marcel im Jahre 1964 haben Sie teilgenommen und damit Ihre enge Verbundenheit mit diesem Anliegen der deutschen Buchhändler immer wieder bekundet. Wir freuen uns von Herzen, Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin auch heute unter uns zu wissen.
Mein hochachtungsvoller Gruß gilt Ihren Exzellenzen den Herren Botschaftern von Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und Österreich und allen Vertretern ausländischer Nationen. Ich begrüße den Hessischen Kultusminister, Herrn Professor Dr. Schütte, als Vertreter der hessischen Landesregierung, unseren Frankfurter Oberbürgermeister Dr. Fay, denen der Börsenverein ebenso wie ihren Amtsvorgängern vielfältig zu Dank verpflichtet ist.
In herzlicher Freude entbiete ich Ihnen, Frau Bundesministerin Dr. Schwarzhaupt, den Gruß des deutschen Buchhandels. Ich begrüße den Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Dr. Müller, den Herrn Präsidenten des Hessischen Landtags Fuchs, die Herren Bischöfe und anderen Vertreter der Kirchen, unter ihnen besonders den Herrn Kirchenpräsidenten D. Sucker, die Herren Staatssekretäre, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Hessischen Landtages, die Vertreter des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens unseres Volkes, darunter besonders Magnifizenz Professor Dr. Rüegg, und die Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen.
Ich begrüße die Damen und Herren aus der Verwaltung des Bundes, der Länder, der Städte und Gemeinden – vor allem natürlich unserer Stadt Frankfurt. Wir freuen uns aufrichtig, daß aus dem Kreise der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels unser Freund Max Tau wieder unter uns weilt, der nicht nur unser erster Friedenspreisträger ist, sondern gestern in der Hauptversammlung des Börsenvereins auch einstimmig zum Ehrenmitglied gewählt wurde. Mit ihm begrüße ich auch unsere anderen beiden Ehrenmitglieder, Herrn Bürgermeister a. D. Dr. Walter Leiske und Herrn Professor Dr. Hanns W. Eppelsheimer, Begründer der Deutschen Bibliothek in Frankfurt a. M.
Ich grüße in dieser Stunde in Dankbarkeit und Verehrung alle anderen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und gedenke in Ehrerbietung und Trauer der inzwischen verstorbenen Träger dieses Preises, insbesondere desjenigen, der seit der letzten Friedenspreisfeier von uns gegangen ist: Herrn Professor Dr. Paul Tillich – Preisträger des Jahres 962-, verstorben am 22.10.1965-
Mein Gruß gilt allen anwesenden Buchhändlern und all Denjenigen die aus Platz- oder anderen Gründen heute nicht bei uns sein können, aber hoffentlich durch den Äther über Funk und Fernsehen mit uns verbunden sind. Dabei grüße ich besonders unsere Landsleute im anderen Teil unsers Vaterlandes.
Mein herzlicher Dankesgruß ist an Sie, Herr Professor Dr. Mikat, gerichtet, der Sie die Aufgabe übernommen haben, durch eine Festrede am heutigen Tage Persönlichkeit und Wirken unserer diesjährigen Preisträger zu würdigen.
Und nun zu den Hauptpersonen unserer Feier, den Trägern des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1966, Seine Eminenz Kardinal Bea und Generalsekretär Dr.Visser 't Hooft, die ich hier im Namen des deutschen Buchhandels willkommen heiße. Wir sind stolz und glücklich, daß Sie diese höchste Ehrung, die unser Berufsstand zu vergeben hat, annehmen und damit auch unser Bemühen um den Frieden in der Welt anerkennen und würdigen.
Die Stiftung dieses Preises im Jahre 1950 war ein Wagnis. Sie entsprang dem festen Willen dieser weitblickenden Kollegen, durch eine solche Tat das Bewußtsein für die Verpflichtung unseres Berufsstandes sichtbar werden zu lassen, als verantwortungsbewußte Verleger und Buchhändler, als die berufenen Vermittler zwischen den Schöpfern unverlierbarer geistiger Werke und der Menschheit, dem Frieden unter den Völkern und den Menschen zu dienen und unseren Teil dazu beizutragen, daß die Welt aus der Vergangenheit lerne. Inzwischen ist das Werk gewachsen. Die Persönlichkeiten, die seitdem diese Ehrung entgegengenommen haben, versinnbildlichen durch ihr Leben und Wirken den Willen zur Verständigung und Versöhnung über alle trennenden Grenzen der Sprachen, Weltanschauungen, religiösen Bekenntnisse und Nationalitäten hinweg. Es waren Menschen, die mit der Kraft des Geistes, mit der Gewalt des Wortes, mit der Stärke des Glaubens und durch das Vorbild ihres eigenen Lebens für den Frieden gewirkt haben. Es waren Menschen, die wußten, daß Frieden und Freiheit des Geistes untrennbar sind und einander bedingen. In diesem Sinne ist auch der-Ausspruch von Theodor Heuss zu verstehen, der erklärt hat, daß der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ein Politikum ist.
Der Friedenspreis ist anspruchsvoll. Er stellt seine Ansprüche ebenso an die Menschen, die durch ihn geehrt werden sollen, wie an diejenigen, die diese Ehrung vergeben wollen und auch an alle diejenigen, die sich mit dieser Ehrung identifizieren. Die Geehrten haben diese Ansprüche erfüllt, die Ehrenden müssen immer wieder erneut durch ihr eigenes Handeln und Wirken beweisen, daß sie ein Recht haben, eine solche Ehrung zu vergeben. So bildet der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für unseren Berufsstand eine stete Verpflichtung zu adäquater Haltung – nicht nur im stillen Kämmerlein und im kleinen Kreis, sondern im gesamten uns zugemessenen Arbeits- und Lebensbereich. Wird der Buchhandel diesem Anspruch nicht mehr gerecht und löst er diese selbst übernommene Verpflichtung nicht mehr ein, dann würde sein Friedenspreis seinen Sinn verlieren und für niemanden mehr eine Ehrung bedeuten. Die Maßstäbe, nach denen gemessen wird, sind hoch - aber wir haben sie selbst gesetzt.
In diesem Jahre hat der Stiftungsrat den Preis erstmalig zwei Persönlichkeiten zuerkannt, deren zu ehrende Leistung für die Menschheit in dem gemeinsamen Bemühen für den religiösen Frieden unter den Menschen gesehen wurde. Der Dialog zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen steht im Mittelpunkt unserer Ehrung. Diese beiden Menschen sind Repräsentanten des Willens zur gegenseitigen Verständigung unter den Christen aller Bekenntnisse. Ihr Bemühen ist eine große Hoffnung für alle, die guten Willens sind. Sie haben nicht nur philosophiert und gedacht, sondern sie haben gehandelt und den Weg beschritten und damit den Menschen gewiesen, der zueinander führt: gegenseitige Achtung vor der Würde des anderen und die Erkenntnis, daß alle Menschen dieser Erde Geschöpfe des Allmächtigen sind und daß es der Wille Gottes ist, daß die Menschen dieser Welt in Freiheit und Frieden miteinander leben. Die Kraft für ihr diesem Weg gewidmetes Leben und Wirken fanden sie im Glauben. Sie wirkten durch das gesprochene und geschriebene Wort; das Wort, das am Anfang der Menschheitsgeschichte steht und den Menschen als Geschöpf Gottes von allen anderen Geschöpfen unterscheidet. Der Weg, auf dem wir diesen Männern zu folgen bereit sein müssen, wenn die heutige Ehrung einen Sinn haben soll, ist weit und schwer, und wir sehen und beschreiten ihn ohne Illusionen, weil wir Menschen sind mit all unseren Unzulänglichkeiten und Schwächen. Aber das Ziel ist ganz klar und eindeutig. Es in das öffentliche Bewußtsein zu rücken, ist der Sinn der diesjährigen Entscheidung.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Friedrich Georgi
Grußwort des Vorstehers
Unsere Preisträger stehen unter einer anderen, den Raum menschlicher Planung überschreitenden Friedensverheißung und unter einem Glauben an die Einheit der Menschen, der mit Vereinheitlichung nichts zu tun hat.
Paul Mikat - Laudatio auf Augustin Kardinal Bea und Willem A. Visser 't Hooft
Paul Mikat
Auf die Preisträger 1966
Laudatio auf Augustin Kardinal Bea und Willem A. Visser 't Hooft
Im Jahre 1958 wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Karl Jaspers verliehen, und Hannah Arendt umriß damals an dieser Stelle in ihrer Festrede zu Ehren des Philosophen die Aufgabe einer laudatio mit den Worten: »In der laudatio muß in der Tat alles, wie die Römer - die in diesen Dingen erfahrener waren als wir - meinten, auf die Dignität der Person bezogen bleiben: in laudationibus ad personarum dignitatem omnia perferentur (Cicero, De Oratore I, 141), auf die Würde nämlich, die einem Menschen eigen ist, sofern er mehr ist als alles, was er schafft. Diese Würde zu erkennen und zu feiern ist nicht Sache der Fachkollegen und Experten; sie kann sich nur durch ein der Öffentlichkeit ausgesetztes Leben bewähren und beweisen, und die Preisung bestätigt nur das, was diese Öffentlichkeit längst weiß. Die laudatio kann also nur das auszusprechen versuchen, was Sie alle wissen. Darin liegt ein großer Sinn, weil das Gehörtwerden dem in der Verborgenheit der je Einzelnen Gewußten eine Leuchtkraft verleiht, die es als Erscheinung in der Wirklichkeit bestätigt.«
Auf die Dignität der Person bezogen bleiben: das bedeutet nun nicht ein chronologisch geordnetes Aufzählen bedeutender Lebensfakten des Gefeierten, eine strenge Treue gegenüber der Biographie, sondern bedingt die Verpflichtung, deutlich zu machen, was den geehrten Menschen in so prägender und unverwechselbarer Weise dem Bewußtsein der Öffentlichkeit und seiner Zeit vergegenwärtigt. In gewisser Hinsicht ist der Träger eines Preises, wie ihn hier der Deutsche Buchhandel verleiht, ja auch ein Repräsentant unserer Selbst, unserer eigenen Wünsche und Hoffnungen, unseres Zweifels wie unseres Glaubens.
In diesem Jahre steht dabei der, dem die ehrenvolle Aufgabe zugedacht wurde, die laudatio zu halten, vor einer besonderen Gegebenheit, insofern es nicht einen, sondern zwei Preisträger zu ehren gilt, den Kardinal Augustin Bea und den niederländischen Theologen Dr. Willem Visser't Hooft. Welche große geschichtliche - näherhin kirchengeschichtliche - Dimension verbindet sich doch mit diesen beiden Namen: der eine, Sohn des Ignatius von Loyola, der andere, Theologe der reformierten Kirche Calvins, der eine, Kurienkardinal der römischen Kirche, der andere, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Beide sind Männer der Kirche, beide in besonderer Weise unter Gottes Wort gestellt, beide haben ihr Leben und Werk der Einheit der Christenheit gewidmet. Beide wissen auch um die Schmerzlichkeit der Trennung von Menschen, die dem Evangelium Christi verpflichtet sind und die doch in verschiedenen Glaubensgemeinschaften leben. Sie wissen um das Skandalon, das in der Gespaltenheit der Christen und der Kirchen liegt, und gerade in dieser Stunde, wo ihnen als den bedeutenden Anwälten des ökumenischen Gedankens der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wird, werden sie diese Trennung vielleicht schmerzlicher denn je empfinden.
Wiewohl also die laudatio auf die Dignität des jeweils Geehrten bezogen ist, »auf die Würde, die einem Menschen eigen ist, sofern er mehr ist als alles, was er schafft«, so gilt doch, daß wir die diesjährigen Preisträger nur dann recht würdigen und verstehen können, wenn wir begreifen, daß sie mit ihrer Persönlichkeit und mit ihrem Werk auf eine Welt hinweisen, in der Begriffe wie Friede und Einheit eine besondere, unverwechselbare heilsgeschichtliche Bedeutung haben, auf die Welt des Alten und Neuen Testamentes, des heilsgeschichtlichen Einbruchs Gottes in die Menschheit. Dabei wird einsichtig, daß die Vokabeln »schalom« im Alten Testament und »είρήνη« im Neuen Testament, die wir mit Friede übersetzen, ein weitaus breiteres Bedeutungsfeld besitzen als unser deutsches Wort Friede und daß sie nur aus der geistigen, religiösen Situation der biblischen Welt und Heilsbotschaft voll verstanden werden können. Das hebräische Wort »schalom« im Alten Testament besitzt eine Grundbedeutung, die sich etwa mit »Wohlsein, Wohlbefinden« wiedergeben läßt. Dieser Begriff steht in einer engen, theologisch bedeutsamen Verbindung mit einem anderen wichtigen biblischen Terminus, mit dem Begriff »berith«, Bund. In dieser Verbindung wird »schalom«, Friede, dann zu einem Ausdruck der Heilsgesinnung Gottes gegenüber seinem Volke. Frieden haben und einem Menschen Frieden wünschen besagt demnach zuerst: Frieden mit Gott haben, unter dem Segen Gottes stehen. Dieser Friede mit Gott birgt jedoch, wie auch das rabbinische Schrifttum zeigt, ein Verhältnis zum Mitmenschen in sich, das bereits auf das neutestamentliche Liebesgebot verweist. Für den Friedensbegriff des Neuen Testamentes sind die Worte Jesu bei der Aussendung der Jünger aufhellend. Im Matthäus-Evangelium findet sich das Herrenwort: »Bei eurem Eintritt wünscht dem Hause Frieden. Ist nun das Haus es wert, so wird der Friede, den ihr wünscht, ihm auch zuteil; verdient es ihn aber nicht, so fällt der Friedensgruß auf euch zurück.« (Matth. 10, 12-13). Hier ist der Friedensgruß, wie er heute noch im Morgenland üblich ist, neu interpretiert: er bedeutet Heil, das Heil, das der Erlöser der Welt bringt. Heinrich Zimmermann sagt in seinem jüngst erschienenen Aufsatz »Friede im Verständnis des Neuen Testamentes«: »Wenn der auferstandene Herr die Jünger mit είρήνη ύμίν anredet, so entbietet er ihnen den jüdischen Gruß, aber er schenkt ihnen damit zugleich das Heil, das er als der Erhöhte zu geben vermag. Die Welt kann dieses Heil nur wünschen, er dagegen schenkt es wirklich.« Ganz deutlich wird die Besonderheit und Andersartigkeit des neutestamentlichen Friedensbegriffes, wenn es im Johannes-Evangelium heißt: »Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Ich gebe euch keinen Frieden, wie die Welt ihn gibt.« (Joh. 14, 27). Dieses Wort darf nicht verstanden werden als Absage an die irdischen Friedensbemühungen. Die Andersartigkeit des Friedensbegriffes, die uns hier begegnet, schließt nicht die Notwendigkeit aus, auch im irdischen Bereich mit irdisch-politischen Mitteln Frieden zu stiften und Frieden zu halten, zeigt uns jedoch die Vordergründigkeit und Vorläufigkeit unseres politischen Tuns. All dieses Tun bleibt notwendig und unerläßlich, bedarf aber für den Gläubigen der rechten Einordnung und des rechten Maßes. Im Epheser-Brief heißt es: »Denn er ist unser Friede, der da beide zu einem machte und die Scheidewand des Zaunes niederriß, die Feindschaft in seinem Fleische, das Gesetz der Gebote, die Satzungen sind, vernichtete, auf daß er die zwei in ihm zu einem neuen Menschen schaffe, Frieden stiftend, und versöhne die beiden in einem Leib Gott durch das Kreuz, er, der die Feindschaft getötet in ihm. Und er kam und verkündete Frieden euch den Fernen und Frieden den Nahen; denn durch ihn haben wir beide in einem Geist Zugang zum Vater.« (Eph. 2, 14-18).
Es ist hier nicht der Platz, die Analyse des Wortes Friede, das sich 91mal im Neuen Testament findet, selten in seiner griechischen Grundbedeutung - als Ausdruck für den politischen Friedenszustand - bis zu seiner eben umrissenen Anhebung zum eschatologischen Begriff ausführlicher darzulegen. Die entscheidende Aussage, die das Neue Testament mit ihm jedenfalls verkündet, ist, daß der »Raum Gottes und der Welt« zusammengeschlossen werden zu einem »Raum der Nähe Gottes«. Friede ist somit das durch Christus geschenkte Leben, und das Evangelium des Friedens (Eph. 6, 15) dient der Versöhnung des Menschen mit Gott, es ist »Dienst der Versöhnung« (2. Kor. 5, 18). Der Friede ist aber zugleich auch das Aufbauprinzip der Gemeinde, der Kirche. Indem der Friede von den je einzelnen gehalten wird, indem sie das, was sie als Gabe Gottes empfangen haben, in ihrer konkreten Existenz aktualisieren, bauen sie mit am Bau der Gemeinde. Insofern bedingen Friede und Einheit einander, das »Band des Friedens« bewahrt die Einheit des Geistes (Eph. 4, 3). Auch dieser Gedanke ist zunächst nur auf die innerkirchliche Situation bezogen, gewinnt aber doch bei einer tieferen Betrachtungsweise eine weit über die Kirche hinausgreifende Bedeutung. In dem Maße, in dem der Friede durch ein aktives Tun, durch aktive Friedenspolitik, durch Aussöhnung der einzelnen und der Völker, gefördert wird, in dem Maße verwirklicht sich die Solidarität und die Einheit der Menschen vor Gott. Zugleich aber wird hier sichtbar, daß Friede auch im politischen Raum nicht lediglich eine Angelegenheit des äußeren Wohlverhaltens ist, sondern immer voraussetzt eine bestimmte innere Gesinnung, den Geist der Versöhnung und Aussöhnung, den Geist der Brüderlichkeit, und all dies erscheint dann als Abbild des eigentlich Versöhnung stiftenden Werkes in der menschlichen Geschichte, der Menschwerdung und des Opfertodes Christi.
Friede ist in der Welt des Neuen Testaments weitaus mehr als nur das zeitweilige Ruhen der Waffen, mehr als die Eintracht der Nationen - wiewohl auch das schon sehr viel ist und wiewohl es auch Tag für Tag darum zu kämpfen gilt -, er ist zunächst Gabe Gottes, ist ein personales Element. Und ebenso kann die Einheit niemals nur als »organisatorische«, als »institutionelle« Einheit verstanden werden. Die organisatorische Einheit stellt allenfalls eine Konsequenz und den sichtbaren Ausdruck einer geistigen Einheit dar.
Schon das frühgriechische Denken kennt die Einsicht, daß Entwicklung und Fortschritt in der Welt stets auf Auseinandersetzung beruhen, auf Kontrasten, auf Gegensätzen. Wer unter Frieden ein Verstummen dieser Gegensätze und unter Einheit ein gewaltsames Unterwerfen alles Individuellen unter ein dominierendes organisatorisches Prinzip versteht, der läßt die geistigen Kräfte der Menschen und Völker erstarren und macht sich zum Anwalt eines vielleicht äußerlich imponierenden, zugleich aber monotonen Gemeinwesens, das in seiner lähmenden Geschlossenheit einen Angriff auf die Freiheit des Menschen darstellen müßte. Ein solches Land Utopia wird in unserer Zeit, die erfüllt ist von ideologischen Gegensätzen und gefährlichen politischen Spannungen, zwar nicht selten vorschnell ersehnt, der Preis jedoch, der für ein solches Gemeinwesen zu leisten wäre, wäre immer nur der Preis der persönlichen Freiheit.
Unsere Preisträger stehen unter einer anderen, den Raum menschlicher Planung überschreitenden Friedensverheißung und unter einem Glauben an die Einheit der Menschen, der mit Vereinheitlichung nichts zu tun hat. Wenn aber Friede im eigentlichen Sinne Geschenk und Gabe Gottes ist, was bedeutet dann »Arbeit für den Frieden«? Denn der Friede, wie ihn das Neue Testament versteht, kann ja nicht hergestellt, kann ja nicht geschaffen werden. Aktive Friedensarbeit bedeutet die Zurüstung und Bereitung der Herzen und menschlichen Gesinnung, um den Frieden als Gottes Gabe zu empfangen, ihn zu bewahren und nicht zu verlieren. Auch die Einheit ist Geschenk Gottes, und das Werk dieser beiden Preisträger besteht nicht darin, daß sie die Einheit schaffen, sondern daß sie auf die Einheit vorbereiten, daß sie Mauern niederreißen, Scheidewände abbauen, Tore aufschließen. Indem sie das tun, in Gesinnung, Wort und Werk, dienen sie der Solidarität der Menschen, der Christen und Nichtchristen, der Nahen und der Fernen.
Auch hier wird wiederum deutlich, wie sehr das Werk der Preisträger, wiewohl es ein auf die Kirche bezogenes Werk ist, über den Bereich der Kirche hinaus auf die Menschheit weist. Denn es geht ja nicht nur um den Frieden der Christen, sondern es geht um den Frieden der Menschen, und die Christen werden in dem Maße glaubwürdig ihren Herrn bezeugen, wie sie bereit sind, über den Bereich ihrer Kirche hinaus friedenstiftend zu wirken.
In der Meßliturgie der katholischen Kirche lautet das Stillgebet der Votivmesse um Frieden: »Deus, qui credentes in te populos nullis sinis concuti terroribus: dignare preccs et hostias dicatae tibi plebis suscipere; ut pax, a tua pietate concessa, christianorum fines ab omni hoste faciat esse securos« -»Gott, Du duldest nicht, daß Schrecknisse die Völker erschüttern, die an Dich glauben; laß Dich herab, die Gebete und Opfer des Dir geweihten Volkes anzunehmen, auf daß der Friede, den Deine Vaterhuld uns schenkt, die christlichen Länder vor jedem Feinde sicherstelle.« Ich meine, daß das nicht genügt, daß es nicht nur um den Frieden der Christen geht, sondern um den Frieden aller Menschen. Wir werden auch in unserem politischen Alltag nur dann verhindern, daß Begriffe wie »Friede«, »Einheit«, »Freiheit« zu abgegriffenen Münzen werden, wenn wir bereit sind, stets mit dem Einsatz unserer ganzen Person den Frieden nicht nur zu postulieren, sondern auch ins Werk zu setzen, den Frieden für Alle.
Und das zeichnet das Leben dieser Preisträger aus, daß sie nicht nur über den Frieden geschrieben haben, daß sie nicht nur theologische Erwägungen zum Problem der Einheit der Kirche angestellt haben, sondern daß sie in ihrer Haltung und in ihrem konkreten kirchenpolitischen Handeln dem Frieden und der Einheit aller Menschen dienten und noch dienen.
Es ist bekannt, daß Visser't Hooft bis in dieses Jahr Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen war. Es ist bekannt, daß Augustin Kardinal Bea über fast zwei Jahrzehnte Rektor des Päpstlichen Bibelinstitutes gewesen ist und als Leiter des Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen entscheidend den ökumenischen Charakter des Konzils beeinflußt hat. Fragt man, was für das Lebenswerk der beiden Preisträger kennzeichnend ist, so ist es die Bemühung um den Dialog der Kirchen als Voraussetzung der ersehnten Einheit. Das Bekenntnis zum Dialog und das Meditieren über den Dialog stehen sinngemäß auch in der Mitte ihrer Schriften, besonders die Theologie Visser't Hoofts könnte man als Theologie des Dialogs bezeichnen. Nicht zufällig ist neben dem großen Karl Barth der Philosoph des Dialogs Martin Buber - auch er Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels - einer seiner Lehrer.
Wer das Wort Dialog gebraucht, der sollte sich bewußt sein, daß mit ihm ein personaler Begriff angesprochen wird. Der Dialog der Kirchen ist nicht möglich ohne den Dialog der konkreten Personen, die ihn führen. Einheit und Friede setzen stets den Dialog voraus, und die dialogische Existenz des Menschen ist eine anthropologische Grundbefindlichkeit. Der Mensch ist das Wesen des Dialogs, seine Existenz ist von Anfang an dialogische Existenz. Der Mensch, der sich in die Vereinzelung zurückzieht, gibt einen Teil seiner Menschlichkeit auf. Die literarische Fiktion vom Robinson-Dasein bezeichnet einen Notzustand und letztlich eine Verkümmerung. Das aristotelische Wort vom Menschen als zoon politikon (- dem Wesen der Polis -) entfaltet seine ganze Wahrheit erst, wenn in der Gemeinschaft die Fülle der Verflechtungen erkannt wird, die sich unter den Menschen gebildet haben und Tag für Tag neu bilden. Ist aber die menschliche Existenz dialogische Existenz und existiert der Mensch im Hinblick auf ein Du, dann gilt das auch und in besonderem Maße für die Stellung des Menschen gegenüber Gott, der den Menschen als Sein Du geschaffen hat. Friede unter den Menschen setzt die Aktualisierung der dialogischen Existenz voraus, das heißt: die volle Bejahung des anderen Menschen, der mir begegnet und dem ich begegne, Beide, Kardinal Bea und Visser't Hooft, haben in vielfältiger Weise darauf hingewiesen, daß das Verhältnis Gottes zu den Menschen der entscheidende Grund für die Solidarität der Menschen untereinander ist. Dialogische Existenz bedeutet immer auch verbundene Existenz. Bei aller Andersartigkeit und Unterschiedlichkeit gibt es die von Gott aus Liebe gewollte Verbundenheit, die die Individualität nicht aufhebt, aber die Geschöpfe in eine lebendige innere Beziehung setzt. Die Tatsache, daß jeder Mensch Gottes Du ist, begründet aber noch mehr als nur eine menschliche Solidarität. Sie begründet die Einheit des Menschengeschlechtes vor Gott. So wie der einzelne Mensch Gleichnis Gottes ist, so soll das Verhältnis des Menschen zum Menschen Gleichnis des Verhältnisses Gott-Mensch sein, das heißt: die Liebe, die das Grundgesetz der Schöpfung ist, die Bejahung des Du, wird somit zur menschlichen Grundhaltung schlechthin. Gerade das macht die Ungeheuerlichkeit des Hasses aus, daß der hassende Mensch den Gehaßten verneint. Er will ihn »vernichten« in des Wortes wahrster Bedeutung, er will ihn ausgelöscht sehen. Nur wer sich das klar vor Augen führt, wird die scharfe Verurteilung des Hasses durch Christus verstehen können. »Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll dem Gerichte verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, der wird des Gerichtes schuldig sein« (Matth. 5, 21 f); und im ersten Johannesbrief lesen wir: »Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder, und ihr wißt, daß kein Menschenmörder ewiges Leben bleibend in sich trägt« (I. Joh. 3, 15). Haß und Mord werden hier ausdrücklich gleichrangig behandelt, beide sind Verneinung des Menschen; der Haß nimmt gewissermaßen den Mord, der das physische Leben vernichtet, im geistigen Raum vorweg.
Wir haben es hier mit allem anderen zu tun als mit einer sentimentalen Auffassung von Frieden und Liebe. Das, was hier als Liebe bezeichnet wird, setzt Mut und Tapferkeit des Herzens voraus. Liebe hat hier nichts mit Sympathie oder Antipathie zu tun, sondern ist ein schöpferischer Akt des Heilswollens. Wir sollten uns auch in dieser Stunde fragen, was das für unsere Haltung im Alltag konkret bedeutet. Es bedeutet den Verzicht auf Gewalt, den Verzicht auf Diskriminierung, es verlangt eine Haltung, die dem Gegner - sei es der persönliche Gegner, sei es der politische Gegner - wohlwill. Es schließt die Gleichgültigkeit aus. Es bedeutet die Sorge der Christen für die Nichtchristen, der Gläubigen für die Ungläubigen. Daß ich nicht nur mein Heil, sondern auch das Heil des anderen will, wo immer er auch steht, das ist entscheidend. Erst in solchen Konkretisationen wird uns die ganze Radikalität der Welt spürbar, die die Heimat von Augustin Bea und Visser't Hooft ist.
In unserer konkreten historischen Situation haben diese biblischen Postulate ohne Zweifel eine besondere Bedeutung gewonnen, sie sind in der Mitte unseres Jahrhunderts für jeden von uns existenzieller und dringlicher geworden als vielleicht jemals zuvor. Die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft und Technik hat ja dazu geführt, daß die Erde jetzt wirklich eine geschichtliche Einheit geworden ist. Man kann sagen: sie ist jetzt zum ersten Mal »rund«, rund in dem Sinne, daß es auf ihr keine isolierten Ereignisse von eigentlicher Bedeutung gibt. Jetzt stehen nicht mehr verschiedene mehr oder weniger isolierte geschichtliche Felder nebeneinander, etwa die Vereinigten Staaten, oder Europa, oder Asien, jetzt gibt es eigentlich nur noch ein geschichtliches Feld, eben die Erde, und wir erleben zur Zeit, daß sich dieses geschichtliche Feld geradezu »planetarisch« erweitert. Das bedeutet aber, daß es nicht mehr die Möglichkeit verschiedener Boote gibt, sondern nur noch das eine Boot, in dem wir alle sitzen, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht. Die in früheren Zeiten bekannte, noch geläufige Relation »weit entfernt« ist für unsere Tage ungültig geworden, weit entfernt ist nicht einmal mehr der Weltraum, die Verflechtung der Menschen und Völker hat sich so verdichtet, daß ein Schuß in einem anderen Kontinent oder ein gelungenes Experiment auf einem anderen Planeten unseren Alltag beeinflussen können.
Es ist nicht abzustreiten, daß diese Einsicht zunächst recht negative Folgen hatte: die Furcht, die Sorge sind zu ständigen Begleitern unseres Alltags geworden, die Sehnsucht nach Frieden und Einheit ist ständig begleitet von dem besorgten Blick auf irgendeinen politisch bedrohlichen Spannungsraum. Zugleich aber wächst eine Erkenntnis, die Kardinal Bea in seinem Buch »Einheit und Freiheit« wie folgt umriß: »Die Erforschung des Weltraumes bringt den Menschen mehr und mehr zum Bewußtsein, daß sie eine einzige Familie auf dieser Erde bilden, daß die moderne Welt ungeahnte Wege und Mittel bereithält, um aus der Menschheit eine Familie im wahrsten Sinne des Wortes zu machen, eine Familie, die nicht nur an der gleichen Menschennatur Anteil hat, sondern auch die physischen, intellektuellen und geistigen Mittel der Welt als ihren gemeinsamen Besitz betrachtet; auch wächst das Bewußtsein um die Verpflichtung, von diesen Mitteln den rechten Gebrauch zu machen, so daß die Solidarität der Menschheitsfamilie kein bloßes Ideal bleibt, sondern Wirklichkeit wird« Und Kardinal Bea zieht daraus die Folgerung: »Wirkliche Einheit unter Menschen muß ein menschliches Werk sein, sie muß hervorgehen aus der bewußten Begegnung freier Menschen.« Dieser Universalismus - hier begegnen sich die beiden Preisträger - wird auch bei Visser't Hooft zum Anlaß intensiver, bohrender Auseinandersetzungen. In seinem Buch »Kein anderer Name« untersucht er den Synkretismus, der zum Phänomen besonders des geistig engagierten modernen Menschen geworden ist, und stellt die Frage: »Aber bleibt nicht die Wahrheit bestehen, daß wir heute mehr denn je eine Weltreligion brauchen, die eine tragfähige Grundlage für die Solidarität der Menschen in einer immer kleiner werdenden Welt bietet? Und gibt es irgendeinen anderen Weg, außer durch eine Form von Synkretismus, um zu solch einer gemeinsamen Menschheitsreligion zu gelangen? Denn wenn wir nicht versuchen, die Religion zu harmonisieren, wie werden wir dann jemals das gemeinsame Ethos, das allgemein anerkannte System geistiger Werte und sittlicher Prinzipien finden, das wir brauchen, um unsere babylonische, geistige und sittliche Verwirrung zu überwinden, den Krieg der Ideologien zu beenden und internationalem Recht und Sittlichkeit eine feste Grundlage zu geben?« Es ist einsichtig - und Visser't Hooft läßt keinen Zweifel darüber -, daß Menschen, die unter der Verheißung und dem Ruf der christlichen Offenbarung stehen, diesem Weg eine Absage erteilen müssen. Nicht daß diese Fragen überhaupt gestellt werden, sondern wie sie gestellt werden, aus welcher Haltung und welcher Verantwortung für die Welt, das ist neu und Zeichen unserer Zeit, Zeichen unseres neuen Solidaritätsbewußtseins und Zeichen der Verantwortlichkeit, die sich dem Christen für die gesamte Welt, dem Glaubenden wie dem Zweifelnden wie dem Andersdenkenden, stellt. Visser't Hooft und Bea wissen, daß der Synkretismus keine Lösung ist: er ist Vereinheitlichung, aber nicht Einheit. Sie wissen aber zugleich um das Gebot, den anderen, den andersdenkenden Menschen so ernst zu nehmen wie den Bruder im Glauben, sie wissen um die Solidarität der Menschen jenseits der Differenzen ihres Bildes von der Welt. Ja, die Toleranz, die Achtung vor dem anderen wird ihnen zu einem göttlichen Gebot. »Wenn Gott, der der absolute Herr der Menschen ist und der die geheimsten Gedanken durchforscht, die menschliche Freiheit achtet und sie nicht vergewaltigt« - so sagt Bea einmal -, »wieviel mehr müssen wir das tun in bezug auf unsere Brüder, arme Menschen, die wir sind.« Und bei Visser't Hooft findet sich über den Geist, in dem sich diese Begegnung der Menschen über ihre Glaubensdifferenzen hinweg gestaltet, die Aussage: »Martin Buber, von dem die vielleicht tiefgründigste Analyse des Wesens des Dialogs stammt, hat sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Voraussetzung für ein echtes Gespräch nicht darin besteht, daß die Partner sich von vornherein darin einig sind, ihre eigenen Überzeugungen zu relativieren, sondern daß beide sich gegenseitig als Personen akzeptieren. Die wesentlichste Bedingung, um zu jemandem in ein echtes Verhältnis zu kommen, ist nicht, daß er mit mir oder ich mit ihm übereinstimme, oder daß wir beide bereit sind, einen Kompromiß auszuhandeln, sondern vielmehr, daß ich mich dem anderen zuwende mit der Bereitschaft, ihm zuzuhören, ihn zu verstehen und eine gegenseitige Bereicherung anzustreben. Ich dränge ihm meine Persönlichkeit nicht auf, sondern stelle mich mit allem, was ich bin, zu seiner Verfügung.« »Denn Menschen«, so heißt es an einer anderen Stelle, »die das Evangelium nicht hören oder nicht hören können, bleiben Geschöpfe Gottes, und Brüder, für die Christus starb.«
Das Medium, in dem die Begegnung mit dem anderen Menschen stattfindet, ist für Kardinal Bea und Visser't Hooft die Ehrfurcht und die Liebe zum Nächsten als einem Geschöpf Gottes. Wenn sie in ihrem Leben und Denken für Frieden und Einheit standen und stehen, dann gewiß auch aus Gründen, wie sie vorhin angedeutet wurden: aus Sorge um die Zukunft unserer Völker, in der Erkenntnis der Lebensgesetze, unter denen wir heute stehen. Den innersten Antrieb ihres Handelns verstehen wir aber nur, wenn wir sie als Gesprächspartner eines Dialoges sehen, bei dem auf der einen Seite derjenige steht, der sich im Glauben seiner Heilszuversicht bewußt geworden ist, auf der anderen Seite aber derjenige, der - ob gleicher Überzeugung oder anderer - unter dem gleichen Heilsangebot lebt und damit enger verbunden ist als durch alle Bande des Blutes, der Heimat oder der Gesinnung. Damit ist aber erst eindeutig, daß Wirken für Frieden und Einheit nicht und niemals eine kleinmütige Zurücknahme des eigenen Standpunktes, ein Nachgeben um jeden Preis, ein Aufgehen in dem größtmöglichen gemeinschaftlichen Nenner, so wie ihn die sozialen und politischen Verhältnisse anbieten mögen, bedeuten kann. Eine solche Haltung würde gerade die wahre, die geoffenbarte Solidarität der Menschen verraten und an ihre Stelle den Götzen eines utopischen Pragmatismus stellen, der an der Natur des Menschen zerschellt. Hier ist nichts gegen das bewundernswerte humanitäre Ethos aller der Menschen gesagt, die täglich in der Anspannung ihrer politischen Aufgabe Konflikte befrieden, Gegensätze abmildern, Kontakte herstellen. Sie verdienen unsere volle Achtung und unseren Dank. Wenn der Preis des Deutschen Buchhandels aber in diesem Jahr Männern verliehen wurde, die von ihrem Glauben - und vor allem anderen von ihrem Glauben - geprägt sind, dann sollten wir uns in dieser Stunde nicht der Einsicht verschließen, daß alle diese humanitären Bemühungen vor unüberschreitbare Grenzen gestellt sind, daß der ewige Friede von menschlicher Hand und menschlicher Intelligenz nicht geschaffen werden kann, und daß das Zeugnis unserer Preisträger eine Hoffnung auf einen Frieden verspricht, der außerhalb, oder besser oberhalb dieser menschlichen Bemühungen steht, der aber zugleich das volle Ja zur Freiheit des Menschen, zur Freiheit seines Gewissens und zur Freiheit seiner religiösen Überzeugung einschließt. Kardinal Bea hat einmal das Wort Augustins zitiert: »odisse errores, diligere errantes« und jeden Versuch, Menschen, die anders denken, als menschliche Feinde zu betrachten, als widerchristlich verworfen. Nicht aus einem zeitbedingten, angesichts der pluralistischen Gesellschaft wohlverstandenen Eigeninteresse kommt es den Kirchen zu, für die Freiheit des Gewissens und der religiösen Überzeugung einzustehen, sondern weil diese Freiheiten zur Würde der menschlichen Person unverzichtbar gehören, müssen die Kirchen ihr erster Anwalt sein. In diesem Sinne ist Religionsfreiheit denn auch mehr als bloße Toleranz, und es ist kein geringer Unterschied, ob die Kirchen die - nach ihrer Gewißheit von der objektiven Wahrheit - irrende Glaubenshaltung der einzelnen nur tolerieren oder als verantwortliche Gewissensentscheidung anerkennen. Das Ja des II. Vatikanischen Konzils zum Grundsatz der Religionsfreiheit ist nicht zuletzt - menschlich gesprochen - das Verdienst Kardinal Beas.
»Diligere errantes« - nur so ist Friede auf der Welt möglich, wenn die Achtung vor dem Mitmenschen, vor seiner unantastbaren Würde, höher und tiefer gewertet wird als der unüberbrückbare Gegensatz der Meinungen. Wenn man dies sieht, so weiß man, daß es heute bei dieser Ehrung nicht allein um Verdienste geht, die sich Menschen um die Einheit der Konfessionen erworben haben, um den Abbau theologischer Gegensätze und um das Gespräch zwischen den Kirchen, sondern daß diese Bemühungen transparent sind für jedes Gespräch zwischen Menschen gleich welcher Rasse und Konfession. Friede unter Menschen ist nur möglich, wenn die Ehrfurcht vor dem Nächsten größer ist als ideologische Verklammerungen und Verkrustungen.
Die Einheit und der Friede, um den die Preisträger, die wir heute ehren, sich bemüht und verdient gemacht haben, ist die Einheit der Christen, die Einheit der gespaltenen Kirchen. Auch hier kann es niemandem um eine Wegtäuschung der theologischen Gegensätze gehen, die nun einmal bestehen und die ein Zeichen sind, daß die Kirche in dieser Welt nicht eine triumphierende Kirche, sondern eine kämpfende Kirche, das heißt: eine pilgernde und leidende Kirche ist. Friede und Einheit stehen in einer bemerkenswerten Dialektik, wie sie der anglikanische Erzbischof Temple in der Eröffnungspredigt bei der Weltkonferenz für Glaube und Kirchenverfassung in Edinburgh charakterisierte: »Wir könnten die Einheit nicht suchen, wenn wir sie nicht bereits besäßen. Nur weil wir eins sind in der Treue zu dem einen Herrn, erhoffen und suchen wir einen Weg, diese Einheit in unserem Zeugnis für diesen Herrn vor aller Welt zu manifestieren.« Und Temple weist darauf hin, daß die Einheit eine erfahrene Tatsache, nicht ein Thema unserer Sehnsucht sei - sie sei gegründet auf die erlösenden Taten des einen Herrn der Kirche.
Bei allem Bewußtsein der Gegensätze ist das Streben der heutigen Preisträger erfüllt von einem christlichen Optimismus, getragen von der gemeinsamen Verpflichtung, dem gemeinsamen Dienst an der Botschaft Jesu Christi. So ist es kein schmückendes Beiwerk, sondern führt in den innersten Kern, wenn in den Schriften Beas und Visser't Hoofts immer wieder vom Gebet die Rede ist als einem sichtbaren Zeichen der schon bestehenden Einheit, oder wenn in den Beratungen der ökumenischen Bewegung die Gemeinsamkeit des Abendmahls solch zentrale Bedeutung besaß. Das Gewonnensein für Christus birgt Frieden und Einheit, es steht unter derselben Dialektik wie das Wort von der angebrochenen Zeit der Königsherrschaft Gottes: sie ist schon da - sie ist aber zugleich Verheißung voran in die Zukunft. So ist das Denken und die Arbeit Kardinal Beas wie Visser't Hoofts schließlich eschatologisch zu verstehen: es festigt sich an der Gewißheit und in dem Bewußtsein des Anbruchs der Endzeit und der Verheißung der vollen Gemeinschaft mit Christus in Gottes Reich.
Das Werk der beiden Preisträger ist ein Werk für die Kirche. In seiner friedenstiftenden Kraft weist es aber über den kirchlichen Bereich hinaus auf die Gemeinschaft aller Menschen. Diese Solidarität aller Menschen hat ihren eigentlichen Grund in der Tatsache, daß Gott Mensch wurde und damit unser aller Bruder. Im Epheser-Brief heißt es: »Jetzt aber, in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, seid ihr, die ihr einst ferngestanden, durch Christi Blut nahegebracht worden. Denn Er ist unser Friede.«
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Paul Mikat
Laudatio
Wie oft haben Religionskriege den Frieden der Völker gestört und unsägliches Leid gebracht! Aber hinaus über die Förderung des Friedens zwischen den Religionen verlangt die Botschaft des Evangeliums direkt und ausdrücklich die Bemü-hung um den Frieden in der ‚Menschheit’ überhaupt.
Augustin Kardinal Bea - Dankesrede
Augustin Kardinal Bea
Friedenspreisträger 1966
Dankesrede
Lassen Sie mich zunächst ein aufrichtiges und inniges Wort des Dankes sprechen für die hohe Ehre, die mir heute durch die Verleihung des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zuteil geworden ist. Ich darf gewiß annehmen, daß die diesjährige Verleihung des Friedenspreises an zwei Persönlichkeiten zugleich auch ein Ausdruck der Anerkennung ist für die Zusammenarbeit, die die beiden Vertreter ihrer Organisationen seit Jahren betätigt haben, Herr Pastor Dr. Visser't Hooft, Generalsekretär des Weltrates der Kirchen, und meine Wenigkeit, Präsident des römischen Sekretariats zur Förderung der Einheit der Christen. Daß diese Zusammenarbeit, neben den rein religiösen Zwecken, auch dem großen Werk des Friedens dient, ist ohne weiteres klar, zumal es sich hier um Organisationen handelt, deren Interesse und Tätigkeit alle Länder und Völker umfaßt und deren religiöse Grundsätze ausgesprochen den Frieden verlangen.
Nachdem das Sekretariat für die Einheit der Christen durch Papst Johannes XXIII. im Juni 1960 gegründet worden war, war es eines unserer ersten Anliegen, miteinander Fühlung zu nehmen. Eine vertrauliche, erst jetzt öffentlich bekanntgewordene Zusammenkunft der beiden jetzigen Friedenspreisträger in Mailand, im September 1960, diente einer ersten Fühlungnahme und Orientierung. Die Früchte zeigten sich schon bald. Bei der Generalversammlung des Weltkirchenrates, die im November und Dezember 1961 in New Delhi stattfand, war die Katholische Kirche zum ersten Mal offiziell vertreten durch fünf Beobachter, und als im Oktober 1962 das 2. Vatikanische Konzil eröffnet wurde, waren unter den 49 nichtkatholischen Beobachtern auch hervorragende Vertreter des Weltkirchenrates. Es würde zu weit führen, hier auf die Einzelheiten der Folgezeit einzugehen; es möge genügen, darauf hinzuweisen, daß die Tagung des Exekutivkomitees des Ökumenischen Rates der Kirchen in Enugu (Nigeria) im Januar 1965 den Vorschlag machte, ein gemischtes Komitee zu bilden (acht Mitglieder des Weltkirchenrates, sechs der Katholischen Kirche). Dessen Aufgabe sollte es sein, die Möglichkeiten eines Gespräches und einer Zusammenarbeit zwischen dem Weltkirchenrat und der Katholischen Kirche zu erforschen und deren Methode festzulegen. Papst Paul VI. nahm diesen Vorschlag mit Freuden an, und der Präsident des Sekretariates für die Einheit konnte im Februar 1965 bei einem Besuch am Hauptsitz des Ökumenischen Rates in Genf diese Annahme offiziell mitteilen. Wie segensreich diese Maßnahme gewirkt hat, zeigt schon die Tatsache, daß seither ähnliche gemischte Komitees der Katholischen Kirche mit Weltbünden großer nichtkatholischer Kirchengemeinschaften zum Teil schon gebildet worden sind - so mit dem Lutherischen Weltbund -, zum Teil in Bildung begriffen sind: so mit der Anglikanischen Gemeinschaft und mit dem Methodistischen Weltbund. Es besteht somit kein Zweifel, daß diese Zusammenarbeit schon reiche Früchte getragen hat für das große Anliegen der Einheit aller Christen und damit - das darf man zuversichtlich annehmen - auch für die Vertiefung des religiösen christlichen Geistes und Lebens. Die Förderung des christlichen Denkens und Lebens bedeutet aber ohne weiteres auch eine Förderung des Strebens nach gegenseitigem Verstehen und nach Frieden. Es ist kein Zufall, daß die letzten Päpste, die so viel für das religiöse Leben des katholischen Volkes getan haben, auch ganz hervorragende Förderer des Weltfriedens gewesen sind. Man denke an die Friedensbemühungen Benedikts XV., an die unablässige Sorge Pius' XI. und Pius' XII. um den Frieden Europas, und vor allem an die große Friedensenzyklika Johannes' XXIII. und an die unermüdlichen Friedensrufe Pauls VI., die noch in den letzten Tagen in seinem Rundschreiben vom 22. September einen geradezu überwältigenden Ausdruck gefunden haben, nachdem schon seine programmatische Enzyklika »Ecclesiam suam« den Dialog mit allen Gruppen nicht nur der Christen, sondern der Menschheit überhaupt behandelt hatte und seine Reisen, vor allem die Reise nach New York zur Generalversammlung der Vereinten Nationen, so viel Aufsehen gemacht hatten.
Alle die Bemühungen um die Belebung und Vertiefung des christlichen Lebens und Denkens, sei es von katholischer Seite, sei es von Seiten nichtkatholischer Christen, wachsen aber hervor aus dem innersten Wesen der Religion Christi; sie sind ein Ausdruck der vom Stifter der Kirche ihr anvertrauten Frohbotschaft selber, zu der auch die Sorge für den Frieden gehört. Schon in den Weissagungen des Alten Bundes ist der Messias als der Friedensfürst (vgl. Is. 9,5) verheißen worden. Neben Psalm 71 ist es vor allem das Buch Isaias, das ihn als solchen verkündigt. Bekannt ist die großartige Vision der Völker, die zum Berge des Herrn und zum Hause des Gottes Jakobs wallen, damit er sie seine Wege lehre, die Wege des Friedens: »Gott wird Recht sprechen zwischen den Völkern, und vielen Nationen Weisung geben; sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Spieße zu Rebmessern ... Kein Volk wird wider das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen« (Is. 2, 2-4). Der Friede im Reiche des Messias wird mit den Farben des Paradieses geschildert: in diesem Reiche wird »der Wolf zu Gast sein bei dem Lamme, und der Panther bei den Böcklein lagern. Kalb und Jungleu weiden beieinander, und ein kleiner Knabe leitet sie ... nichts Böses und Verderbliches wird man tun auf meinem ganzen heiligen Berg« (Is. II, 2-9). Daß diese Schau keine bloß mythologische Utopie ist, zeigt der Prophet, wenn er mit aller Entschiedenheit die Übung der Gerechtigkeit fordert mit dem so modern klingenden Satz, daß »der Friede eine Frucht der Gerechtigkeit« ist (Is. 45). Die weitere Entwicklung der Offenbarung zeigt allerdings, daß diese Weissagungen erst am Ende der Zeiten völlig in Erfüllung gehen werden, in »dem neuen Himmel und der neuen Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt« (2. Petr. 3, 13); aber Christus selbst betont, daß diese Vollendung schon hienieden energisch und wirksam angestrebt und vorbereitet werden muß. Man denke nur an die Seligpreisungen: »Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden ... Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden« (Matth. 5, 6-9). Christus selbst hinterläßt den Seinigen als kostbares Geschenk seinen Frieden, den Frieden, den die Welt nicht geben kann (Joh. 14, 27). Dieser Friede hat seine Quelle in Gott selbst, der sich »Gott des Friedens« nennen läßt (vgl. Rom. 15, 33; 2. Kor. 13, 11 usw.). Als Grund des Friedens, der im Reiche Gottes herrscht, wird vom Propheten Isaias die Tatsache angegeben, daß »das Land voll ist von Erkenntnis des Herrn, wie von Wassern, die das Meer bedecken« (Is. II, 9). So gehört also die Sorge für den Frieden zum Wesen der Kirche und der ihr von Christus anvertrauten Aufgabe, und die Förderung des Friedens zwischen den Religionen ist auch wertvollster Dienst für den Frieden aller Menschen untereinander. Wie oft haben Religionskriege den Frieden der Völker gestört und unsägliches Leid gebracht! Aber hinaus über die Förderung des Friedens zwischen den Religionen verlangt die Botschaft des Evangeliums direkt und ausdrücklich die Bemühung um den Frieden in der Menschheit überhaupt.
Damit komme ich zum Schluß. Mein Dank für den uns verliehenen Friedenspreis soll auch ein Glückwunsch sein. Ich beglückwünsche den Börsenverein des Deutschen Buchhandels für die in der diesjährigen Preisverleihung zum Ausdruck kommende, treffende und tiefe Deutung und Würdigung der heutigen Lage der Menschheit. Es bedeutet nicht wenig und ist sehr ermutigend, daß einflußreiche Kreise heute, inmitten des materiellen Fortschrittes und der Technisierung, so viel Sorge zeigen für die tiefe und entscheidende Bedeutung der geistigen Werte für das Leben und Wohl der Menschen. So füge ich an den Dank den Wunsch: Möge dieses Verständnis und dieser Sinn - auch unter der Mitwirkung dieser Friedenspreis-Stiftung - immer weiter wachsen und erstarken, zur Sicherung und zum Ausbau des Friedens, und damit zur Vorbereitung einer besseren Zukunft der Menschheit, zu einer Zukunft, die auf tiefen und dauerhaften geistigen Grundlagen ruht.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Augustin Kardinal Bea
Dankesrede des Preisträgers
Und nun scheint mir, daß hier die eigentliche Bedeutung der ökumenischen Bewegung für den Weltfrieden liegt. Denn es geht in ihr nicht nur um das Zusammenleben oder Zusammenreden, es geht vor allem um das Zusammendienen. Es geht um die Wiederentdeckung der kosmischen Aufgabe des Gottesvolkes.
Willem A. Visser 't Hooft - Dankesrede
Willem A. Visser 't Hooft
Friedenspreisträger 1966
Dankesrede
Ich bin sehr dankbar, daß mir der Friedenspreis verliehen worden ist, und es ist mir eine ganz besondere Freude, diesen Preis zusammen mit Kardinal Bea in Empfang zu nehmen, denn es ist eine der schönsten Erfahrungen in meinem reichen ökumenischen Leben gewesen, daß Kardinal Bea und ich so bald ein echtes, tief christliches Verständnis zueinander gefunden haben.
Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an zwei Kirchenmänner, die auf dem Gebiete der ökumenischen Annäherung der Kirchen arbeiten, kann nur bedeuten, daß die ökumenische Bewegung unserer Zeit als ein Beitrag zum Weltfrieden verstanden wird. Aber ist sie das wirklich? Manche werden sagen, daß es bei den ökumenischen Bestrebungen doch in erster Linie um den innerkirchlichen Frieden geht. Daß christliche Kirchen zusammenarbeiten und versuchen, im brüderlichen Gespräch ihre dogmatischen Gegensätze aus dem Wege zu räumen, daß die Östlichen und Westlichen Kirchen nach einer Trennung von 1000 Jahren miteinander in herzliche Verbindung treten, daß die katholischen Kirchen und die Reformationskirchen nach 400 Jahren nicht nur miteinander reden, sondern wieder voneinander lernen, daß auf Grund der Vorbereitung, in der die zwei heutigen Friedenspreisempfänger zusammenarbeiten durften, eine Arbeitsgruppe zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen geschaffen werden konnte, das sind sicher kirchengeschichtliche Ereignisse, aber nicht direkte Beiträge zum Weltfrieden. Denn in unserem pluralistischen Zeitalter sind Religionskriege glücklicherweise nicht mehr zu befürchten.
Ist also die ökumenische Bewegung doch nur eine innere Angelegenheit der Christen? Nein, sie ist, wie Kardinal Bea schon deutlich gesagt hat, sicher mehr. Es ging schon am Anfang der ökumenischen Bewegung nicht nur um die innere Einheit der Kirche, sondern sehr bewußt auch um das gemeinsame Wort, das die Kirche der Welt über Frieden und Gerechtigkeit zu sagen hat. Der ökumenische Bahnbrecher Erzbischof Nathan Söderblom von Uppsala hat die Bewegung für Praktisches Christentum in den zwanziger Jahren geschaffen, weil er tief traurig und beschämt war über das Schweigen der Kirchen in den kritischen Jahren des Ersten Weltkrieges.
Was in den Verlautbarungen der Vollversammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen und in den Dokumenten des zweiten Vatikanischen Konzils über die grundlegenden Fragen des internationalen Lebens gesagt worden ist, ist Gott sei Dank auch nicht ohne Echo geblieben. Und obschon die Regierungen die von den Kirchen gegebenen Warnungen nicht so ernst nehmen, wie sie es verdienen, so haben doch in manchen Fragen Stellungnahmen der Kirchen eine nicht unwichtige Rolle gespielt in der Bildung der öffentlichen Meinung. Ich brauche nur zu erinnern, was die wichtige Denkschrift der EKD zur Vertriebenenfrage über das Verhältnis zu Polen oder das Wort der Kirchen in USA in den letzten Jahren und Monaten über den Vietnam-Krieg bedeutet haben. Und es ist sicher auch wichtig, daß die Kirchen wieder gelernt haben, auf internationalem Gebiet gemeinsam Stellung zu nehmen und selbst heiße Eisen anzufassen.
In Fragen von Abrüstung und Menschenrechten, von Versöhnung zwischen früheren Feinden und von guten Beziehungen zwischen den Rassen hat das gemeinsam gesprochene Wort der Kirchen Gewicht gehabt. Und wir dürfen hoffen, daß die Zeit nicht fern ist, in der die ökumenische Bewegung so weit fortgeschritten sein wird, daß auch gemeinsame Stellungnahmen der Kirchen im ökumenischen Rat und der Römisch-Katholischen Kirche erfolgen können und so die ganze Christenheit zusammen ihre Friedensbotschaft in konkreter Weise bringen wird.
Aber diese Antwort ist doch eigentlich noch nicht genügend. Es gibt so viele Stimmen in der Welt. Es werden so viele Erklärungen und Resolutionen angenommen und veröffentlicht. Wenn die ökumenische Bewegung nur redet, so kann sie keinen wirklich entscheidenden Beitrag zum Weltfrieden geben. Was uns fehlt, sind nicht Gedanken und Pläne. Was uns fehlt, ist die Kraft, auszuführen, was wir nach unserem Wissen und Gewissen tun sollen. So viele Ratschläge gehen noch immer von der naiven Voraussetzung aus, daß Vernunft und Altruismus diese Welt beherrschen. Ein Holländer hat darüber schon im 17. Jahrhundert ein paar Zeilen geschrieben, die ich so frei übersetze:
Wenn man Vernunft regieren ließ'
Und christliche Moral,
So war die Welt ein Paradies
und nicht dies Jammertal.
Nehmen wir die wichtige Frage unserer Zeit, die allerwichtigste: die Frage nach dem Verhältnis der reichen und der armen Länder zueinander. Wir wissen schon, daß die Kluft immer größer wird. Wir wissen, daß eine solche Ungleichheit immer mehr als Unrecht empfunden wird und daß, wenn dieses Problem nicht gelöst wird, es keinen dauerhaften Frieden geben kann. Wir wissen schon, daß es nicht genügt, eine bescheidene Entwicklungshilfe zu geben, sondern daß die Struktur der Weltwirtschaft verwandelt werden muß, um zu einer internationalen sozialen Gerechtigkeit zu kommen. Aber wir tun es nicht, weil wir die nötigen Opfer nicht bringen wollen, und so ist es auf vielen Gebieten. Wir wollen Frieden, aber wenn wirklich deutlich wird, daß der Friede kostspielig ist, dann weichen wir zurück.
Uns kann nur geholfen werden, wenn unser Egoismus, Provinzialismus und Nationalismus überwunden wird von einer Wirklichkeit, die größer ist als Ego, Provinz und Nation und die uns so beherrscht, daß wir bereit sind, Opfer für sie zu bringen. Das bedeutet nicht, daß wir vaterlandslose Gesellen werden, sondern daß wir die Verantwortung von Volk und Nation wirklich ernst nehmen.
Und nun scheint mir, daß hier die eigentliche Bedeutung der ökumenischen Bewegung für den Weltfrieden liegt. Denn es geht in ihr nicht nur um das Zusammenleben oder Zusammenreden, es geht vor allem um das Zusammendienen. Es geht um die Wiederentdeckung der kosmischen Aufgabe des Gottesvolkes. Es gibt ein merkwürdiges Dokument der alten Christenheit: den Brief an Diognet. Er ist wahrscheinlich im zweiten Jahrhundert geschrieben. Es steht dort dieses merkwürdige Wort über die Christen: »Sie halten die Welt zusammen«. Der Autor kann unmöglich an irgendeine imperialistische Weltbeherrschung durch die Christen gedacht haben. Solche Träume konnte es 100 Jahre vor Konstantin dem Großen nicht geben. Der Autor spricht in einer Lage, in der die Christen eine kleine Minderheit sind, und redet ausdrücklich von der Verfolgung, die sie erdulden müssen. Nein, er meint eine geistige Aufgabe, die nur in Demut übernommen werden kann. Er sagt nur in seinen eigenen Worten, was das Evangelium meint, wenn es die Christen Salz der Erde und Licht der Welt nennt. Er weiß, daß, ob Minderheit oder Mehrheit, ob reich oder arm, die Christenheit aufgerufen ist, sich in der Nachfolge ihres Herrn für die ganze Menschheit verantwortlich zu wissen. Sie sind da für die Mitmenschen. Alle sind Brüder, für die Christus gestorben ist. Um aber die Welt zusammenzuhalten, müssen sie in ihrem eigenen gemeinsamen Leben zeigen, daß sie zusammengehalten werden. Uneinigkeit ist eine Verleugnung ihrer göttlichen Sendung. Sie, gerade sie müssen es sichtbar machen, daß die Kräfte, die in der Welt zum Kampf aller gegen alle führen, nicht das letzte Wort zu haben brauchen. Als Glieder der in Christus begründeten Oikumene leben sie für die ganze Oikumene, für die ganze Menschheit. Ihre Solidarität mit der Menschheit ist unbegrenzt.
Ich sage natürlich nicht, daß die Kirchen die volle Tiefe und Weite dieser Dimensionen der ökumenischen Wirklichkeit schon entdeckt haben. Ich sage nur, daß dieser Zündstoff in der ökumenischen Bewegung wirkt. Die großen Momente der ökumenischen Existenz sind schon heute diejenigen, in denen dieses Zusammenhalten Ereignis wird und Brücken gebaut werden zwischen Menschen, die etwa aus ihrer östlichen oder westlichen Perspektive, aus der Sicht der reichen oder der armen Länder zu radikal verschiedenen Stellungnahmen gekommen waren. Auf diesem Weg müssen wir, dürfen wir vorwärtsgehen. Wenn es wirklich gelingen sollte, den Christen zum Bewußtsein zu bringen, daß sie diese wunderbare Aufgabe haben, würden die Kirchen noch ganz anders dem Weltfrieden dienen können. Es ist erfreulich, daß in manchen Ländern, auch besonders hier in Deutschland, viel gegeben wird für internationale Hilfe.
Aber bedenken wir, was es bedeuten würde, wenn alle Christen in der ganzen Welt ihre Solidarität mit den hungrigen Massen Asiens und Afrikas wirklich ernst nehmen würden, und wenn alle Kirchen zusammen in Tat und Wort sich daranmachen würden, auf eine gerechte soziale Ordnung auf internationaler Ebene hinzuwirken.
Der Brief an Diognet sagt noch etwas anderes über die Sendung der Christen, nämlich: »Die Aufgabe, die Gott ihnen gegeben hat, ist so nobel, daß es ihnen nicht erlaubt ist, zu desertieren.« Ich möchte die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels so auffassen, daß Sie diesen Satz bejahen und die Kirchen ermutigen, diese ihre große Friedensaufgabe wirklich zu erfüllen.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Willem A. Visser ‘t Hooft
Dankesrede
Chronik des Jahres 1966
+ + + In einer Erklärung unterstützt die Bundesregierung im Januar 1966 den Eintritt der USA in den Vietnam-Krieg. Die amerikanische Bombardierung Nordvietnams wird intensiviert, doch trotz des großflächigen Einsatzes von Napalmbomben und dem Entlaubungsmittel Agent Orange gelingt es den USA nicht, den Gegner militärisch zu besiegen. + + + Mao Tse-tung leitet im Mai in China die Große Proletarische Kulturrevolution ein. Sie kostet Hunderttausenden das Leben und gerät schließlich so außer Kontrolle, dass die Volksbefreiungsarmee gegen die Roten Garden eingesetzt werden muss. + + +
+ + + Frankreich führt am 2. Juli nach seinem Austritt aus der NATO den ersten Atomwaffenversuch auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik durch. + + + In Ost-Berlin wird im Juni der Film Spur der Steine mit Manfred Krug uraufgeführt. Kurz nach der Premiere wird der Film aus den Kinos genommen und erst 1990 wiederaufgeführt. + + + Der frühere NS-Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer und der frühere NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach werden im Oktober nach zwanzigjähriger Haft aus dem Gefängnis Spandau entlassen. + + + In Frankfurt demonstrieren rund 20 000 Menschen gegen die von der Bundesregierung geplanten Notstandsgesetze. Bei den Landtagswahlen in Hessen erreicht die rechtsextreme NPD im November 7,9 Prozent der Stimmen und zieht damit erstmals in ein Landesparlament ein. + + + Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen tritt Bundeskanzler Erhard von seinem Amt zurück. Kurt Georg Kiesinger wird am 1. Dezember zum Bundeskanzler einer Großen Koalition aus Union und SPD gewählt. Vizekanzler und Außenminister wird Willy Brandt. + + +
Biographie Augustin Kardinal Bea
Der am 25. Mai 1881 in Riedböhringen (bei Donaueschingen) geborene Kurienkardinal der römisch-katholischen Kirche tritt 1902 in die Gesellschaft Jesu ein und wird 1912 zum Priester geweiht.
1923 erhält er eine Professur am päpstlichen Bibelinstitut in Rom und wird 1959 vom Papst zum Kurienkardinal erhoben. Ein Jahr später wird er mit der Leitung des Sekretariats für die Einheit der Christen betraut. Die Arbeit Augustin Kardinal Beas als Leiter des Sekretariats für die Einheit der Christen ist es vor allem zu danken, dass die Begegnung der Konzilsväter mit den nichtkatholischen Beobachtern zustande kommt, der Dialog zwischen beiden in Gang gehalten und die ökumenische Öffnung des Konzils bewirkt wird.
Augustin Kardinal Bea stirbt am 16. November 1968 im Alter von 87 Jahren.
Auszeichnungen
1967 Preis für Human Relations der Society for Family of man
1966 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1965 Internationaler Preis für die Brüderlichkeit der Fellowship Commission
1960 Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1954 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Bibliographie
Der Ökumenismus im Konzil – Öffentliche Etappen eines überraschenden Weges
Freiburg i. Brsg. 1969
Die Kirche und die Menschheit
Freiburg i. Brsg. 1967
Der Weg zur Einheit nach dem Konzil
Freiburg i. Brsg. 1966
Die Kirche und das jüdische Volk
Freiburg i. Brsg. 1966
Von Christus erfaßt
Meitingen/ Freising 1966
Die Einheit der Christen, Probleme und Prinzipien, Hinweise und Mittel, Verwirklichungen und Aussichten
Freiburg i. Brsg. 1963
Die neue lateinische Psalmenübersetzung. Ihr werden und ihr Geist
Freiburg i. Brsg. 1949
Biographie Willem A. Visser 't Hooft
Der am 20. September 1900 im niederländischen Haarlem geborene Willem A. Visser ’t Hooft gehört zu den Gründern der ökumenischen Bewegung.
Sein Engagement für die Bewegung beginnt er 1924 als Sekretär des Weltbundes des CVJM. 1938 wird er Generalsekretär des neu gegründeten Ökumenischen Rates der Kirchen. Bis 1966 ist er Generalsekretär des Rates, dem protestantische, anglikanische und orthodoxe Kirchen aus allen Teilen der Welt angehören, und bemüht sich sowohl innerhalb der Bewegung als auch in internationalen politischen Konflikten um Schlichtung und Vermittlung.
Willem A. Visser’t Hooft stirbt am 4. Juli 1985 im Alter von 84 Jahren.
Auszeichnungen
1982 Four Freedoms Award
1975 Augustin-Bea-Preis
1966 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1958 Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband
Bibliographie
The Genesis and Formation of the World Council of Churches
1982
The Fatherhood of God in an Age of Emancipation
1982
Die Welt war meine Gemeinde
1972
Peace among Christians
1967
No other Name
1963
The Pressuse of our Common Calling
1959
Erneuerung der Kirche
1956
Rembrandts Weg zum Evangelium
1955
Die ökumenische Bewegung und das Rassenproblem
1954
Die Bedeutung der Ökumene
1953
La Renovacion de la Iglesia
1952
Christi Königtum
1947
Rembrandt und die Bibel
1947
Der Kampf der Holländischen Kirche
1946
Der Weltkirchenrat, seine Natur und seine Grenzen
1946
Elend und Größe der Kirche
1944
Die Kirche und ihre Funktion in der Gesellschaft
mit Dr. Oldham, 1937
Keine anderen Götter
1937
Anglo-Katholizismus und Orthodoxie
1933