Der Stiftungsrat hat den polnischen Historiker, Publizisten und Politiker Władysław Bartoszewski zum Träger des Friedenspreises 1986 gewählt. Die Verleihung fand während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 5. Oktober 1986, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hielt Hans Maier.
Begründung der Jury
Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1986 Władysław Bartoszewski, dem Warschauer Historiker und Publizisten, der sich seinen unerschütterlichen Optimismus bewahrt hat. Als Zeithistoriker stellt er geschichtliche Fakten dar und läßt die Kenntnisse der Vergangenheit für eine bessere Zukunft wirksam werden.
Als Humanist hilft er, Vorurteile abzubauen und die Last der Geschichte zu überwinden. Er ist Chronist des Leidens und der Selbstbehauptung. Władysław Bartoszewski ist innerlich unabhängig geblieben. Leben um jeden Preis ist für ihn eine Schande, Zivilcourage dagegen eine Tugend, die er in seinem Leben immer wieder unter Beweis stellt.
Reden
Günther Christiansen
Grußwort des Vorstehers
Ein Gejagter, der nicht zum Jäger wurde ... ein Chronist des Leidens und der Selbstbehauptung ... Historie als Epitaph, als Totengeschichte.
Hans Maier - Laudatio auf Władysław Bartoszewski
Hans Maier
»Ein Gejagter, der nicht zum Jäger wurde«
Laudatio auf Władysław Bartoszewski
»Wisset, daß man von mir nicht auf eine langweilige, gewöhnliche, gemeine Art reden darf. Das verbiete ich standhaft... Diejenigen, die sich erlauben, von mir langweilig und vernünftig zu reden, bestrafe ich grausam; ich sterbe ihnen im Munde ...«
Es ist ein polnischer Autor, der so redet, Witold Gombrowicz (Die Tagebücher I, 1970, 125) - und er gibt mir das Stichwort für meine Laudatio auf Władysław Bartoszewski, den polnischen Historiker, Publizisten, Zeitzeugen, dem der Börsenverein in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht.
In der Tat: langweilig über Bartoszewski zu reden - das dürfte selbst einem Artisten der Verhaltenheit nicht gelingen. Zu grell ist diese Biographie, zu drastisch sind die Wechselfälle dieses Lebens. Was diesem Mann seit 1939 widerfahren ist, was er erlebt und überlebt hat, das ist schier unglaubhaft: eine ganze Kette böser Überraschungen, tödlicher Gefahren, mühsamer Rettungen, die Geschichte eines immer wieder (und mit Mühe) noch Davongekommenen, Candide in der Todesmühle des 20. Jahrhunderts ... vernünftig im Sinn der Alltagsvernunft kann man von Bartoszewski auch nicht reden, er ist kein Fall aus dem Lehrbuch der Psychologie. Denn ist es, menschlicher gesprochen, nicht wider alle Vernunft, daß ein so Gepeinigter, Verfolgter seinen Widersachern nicht mit Haß und Verachtung heimzahlt, sondern ihnen mit Überlegenheit, Offenheit, Neugier, ja mit Versöhnlichkeit, mit freiem und großzügigem Lachen begegnet?
»Gejagt wie eine Wolke von allen Winden«
»Normal« war an diesem Leben nur die Kindheit. »Eine glückliche Kindheit in einem freien Land« - so beschreibt Bartoszewski sie in seinem Autobiographischen Bericht »Herbst der Hoffnungen« (1983,18 ff.). Er wuchs in Warschau auf, der Hauptstadt des nach über hundertjähriger Teilung wiedervereinigten Polen. »Ich bin ein Kind dieser freien Republik«, sagt er, »drei Jahre nach der Neugründung des polnischen Staates ... geboren. Wir waren die ersten, die in einem freien Staat zur Welt kamen - und erzogen wurden.«
Der Vater war Angestellter der »Bank von Polen«. Die Mutter entstammte einer verarmten Gutsbesitzerfamilie. Man gehörte also zur Mittelschicht. Die Wohnung lag an der Grenze zwischen dem polnischen und dem jüdischen Teil der Stadt, nicht weit weg von der Großen Synagoge. In der Nähe lief die Nalewki-Straße, der jüdische Broadway. Damals war fast jeder dritte Einwohner der Millionenstadt ein Jude. Bartoszewski erinnert sich: »Dort (im Judenviertel) wohnte kein einziger Nicht-Jude. Es waren Wohnhäuser mit zwei, oft sogar drei Höfen und vier oder fünf Stockwerken. Riesige Wohnstätten mit lausenden wimmelnden Juden im Kaftan - und am Sabbat auf den Straßen totale Leere. Am Sabbat war das eine tote Stadt. Wie Mea Shearirn heute (aaO 21).«
Der junge Władysław ging in eine katholische Schule. Dort lernte er unter anderem Deutsch, das er seit dieser Schulzeit fließend spricht - und auf der Straße auch Jiddisch, von jüdischen Kindern und Spielkameraden. Mit 17 Jahren - wir schreiben 1939 - machte er als Jüngster der Klasse Abitur: in Deutsch über Lessings »Minna von Barnhelm«. »Wir haben alle wichtigen Standardwerke immer im Original gelesen. Die großen Namen der deutschen Literatur... waren für uns mehr als Begriffe.« Man hatte ja mit den Deutschen keineswegs nur negative Erfahrungen gemacht. Bis in die 30er Jahre hinein war die Frage des polnisch-deutschen Miteinanderlebens nicht sehr belastend gewesen: »Wir hatten ja nach Versailles nichts im Westen, dafür aber alles im Osten verloren. Tausende von Familien lebten als Heimatvertriebene. Sie hatten Kiew, Minsk und andere Gebiete in Weiß-Rußland und der Ukraine verlassen, die bis zur polnischen Teilung jahrhundertelang Bestandteil unserer Krone gewesen waren. Man sprach damals also eher über die Gebiete im Osten als über die Gebiete im Westen (aaO 23 f.).«
Wovon träumt ein junger Pole in jenen Jahren, was will er werden? Władysław erwägt verschiedene Berufsmöglichkeiten: Schauspieler, Schriftsteller, Politiker, Priester, gar Jesuit (das alles, man weiß es, liegt in Polen nicht so weit auseinander!). Jedenfalls: er will dienen, anderen helfen. Zunächst gilt es die Wehrpflicht abzuleisten, er hat schon einen Termin, am 20. September 1939 in Modlin, bei einer Panzereinheit - doch es kommt anders.
Der Krieg bricht ein, in die Stadt, in die Familie: Luftangriffe, Kämpfe, Tote. Dann die Besetzung. Kindheit und Jugend sind jäh zu Ende. In jenen Wochen hat der junge Bartoszewski ein Schlüsselerlebnis. Als Hitler in Warschau seine Siegesparade abhalten will, müssen zuvor die Barrikaden und Straßensperren geräumt werden. Die Wehrmacht verpflichtet jeden, den sie greifen kann, zum Aufräumen, von der Straße weg - vor allem Juden sind gesucht. Bartoszewski - mit großer Nase, Brille, abgemagert - wird für einen Juden gehalten. Er wehrt sich nicht. Ein anderer junger Mann neben ihm aber geht zum deutschen Unteroffizier, zeigt ihm eine Medaille mit der Muttergottes: »Ich bin kein Jude, sondern Katholik!« Er wird entlassen, Bartoszewski schämt sich.
»Ich war tief beschämt, weil jemand das Zeichen der Liebe Gottes, das Muttergottesbild, ausgenutzt hatte, um sich freizukaufen. Ich war nie sehr fromm gewesen, zumindest nicht in einem traditionellen Sinn, aber Gott existierte für mich. Für mich war die Nächstenliebe wichtig, das Evangelium, die Bergpredigt. Das war die Grundsubstanz meines Glaubens. Ich bin dann bewußt und mit Absicht geblieben . . . Das ist eine Kleinigkeit, aber ich ahnte von diesem Augenblick an, wie die meisten Menschen reagieren würden (aaO 34).«
Die Irrfahrt beginnt. Nach dem schweren Winter 1939/40, nach mancherlei Überlebenskünsten vor Ort, einer notdürftigen Anstellung beim Roten Kreuz und ersten Kontakten zur Widerstandsbewegung wird Bartoszewski am 19. September 1940 bei einer Razzia gegen die polnische Intelligenz in Warschau von der SS verhaftet und ins Lager Auschwitz verschleppt, das damals gerade vier Monate besteht. Wiederum ist er mit 18 Jahren einer der Jüngsten. Die Polen sind im Lager noch fast unter sich. Noch keine Gaskammer, keine Todesspritzen, aber viele sterben an Hunger, an Entkräftung, an Schlägen: von den 14 Menschen aus Bartoszewskis Warschauer Wohnhaus allein elf. Und schon gibt es das Krematorium, den Kamin. Bartoszewski wird im Winter 1940/41 schwer krank. Es ist ein halbes Wunder, daß er im April 1941 aus dem Lager entlassen wird und nach Warschau zurückkehren kann. Dort findet er das jüdische Ghetto abgesperrt, eingemauert, deutsche Divisionen sind nach Ostpolen unterwegs, der deutsch-russische Krieg wirft seine Schatten voraus. Im Oktober 1941 nimmt Bartoszewski das Studium an der geheimen Warschauer Universität auf. Im Frühsommer 1942 gehört er zu den Mitbegründern der Hilfsaktion für die verfolgten Juden in der katholischen Widerstandsgruppe »Front der Wiedergeburt Polens«. Er tritt in die Heimatarmee ein, gibt Zeitschriften für die Widerstandsbewegung heraus, erlebt 1943 aus nächster Nähe den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto mit - damals schon stellvertretender Leiter im Judenreferat der Delegatur der Londoner Exilregierung in Polen. Er nimmt am Warschauer Aufstand im Herbst 1944 teil, zuletzt als Oberleutnant der Heimatarmee, jenem Aufstand, der mit der Zerstörung der polnischen Hauptstadt und dem Tod von rund 200 000 ihrer Einwohner endet - vor den Augen der unbeweglich am anderen Weichselufer stehenden sowjetischen Armee. Dann abenteuerliche Flucht nach Krakau - und wieder zurück nach Warschau im Februar 1945. Das Leben im Nachkriegspolen beginnt, er ist freier Journalist und Mitarbeiter in der Hauptkommission für die Untersuchung der Naziverbrechen.
Was folgt, ist rasch erzählt - aber wie viele Jahre lang zieht es sich hin: am 15. November 1946 wird Bartoszewski erneut verhaftet - er ist zu dieser Zeit Redaktionsmitglied der einzigen oppositionellen Tageszeitung in Polen, der »Gazeta Ludowa« in Warschau. Von 1946 - 48 und wiederum von Ende 1949 an sitzt er in stalinistischen Gefängnissen, insgesamt sechseinhalb Jahre lang. Der Mann des Widerstands - ein Gefangener im eigenen Land, Opfer eines anderen Totalitarismus. Erst 1954 wird er freigelassen, erst 1955 rehabilitiert. Und erst der »polnische Oktober« (1956). die späteren 50er und die 60er Jahre bringen die ersehnte Atempause: endlich kann er arbeiten, schreiben, sogar reisen, das erste Mal im Alter von 41 Jahren! Sein umfangreiches historisch-dokumentarisches Werk entsteht. 1970 dann erneut Übergriffe der Polizei, Hausdurchsuchung, Repressalien - und 1981, im Dezember, nach Ausrufung des Kriegsrechts, erneut Verhaftung, viereinhalb Monate Lagerhaft in Hinterpommern, Rettung durch jüdische Freunde ...
»Gejagt wie eine Wolke von allen Winden« - dies schrieb, ein wenig literarisch, Joseph Görres über sein unstetes Publizisten-Leben, das ihn von Koblenz über Paris nach München führte. Bartoszewski - katholischer Publizist wie Görres - könnte das gleiche über sein Leben schreiben. Aber wie harmlos klingt diese Formel für den, der Auschwitz und die Anfänge der Todesfuge erlebt hat; und wie vorsichtig waren die Methoden der preußischen Polizei gegen den wortgewaltigen Herausgeber des »Rheinischen Merkur«, verglichen mit Folter und Gewalt der Trabanten Hitlers und Stalins gegen ihre Widersacher! Es wäre kein Wunder gewesen, wenn ein Mann wie Bartoszewski angesichts des Erlebten zerbrochen oder verstummt wäre, wenn er sich geduckt und zurückgezogen hätte - oder wenn er dem höchst menschlichen Verlangen nach Vergeltung, nach Rache nachgegeben hätte. Er tat es nicht. Er blieb versöhnlich. Und schon das sichert ihm unseren staunenden, ungläubigen, bewundernden Respekt.
»Ich habe immer großes Glück gehabt«
»Wie kam es, daß Sie nicht Rache suchten, daß; Sie als Verfolgter nicht zum Verfolger wurden?« habe ich Bartoszewski wiederholt gefragt. Seine Antwort war immer wieder die gleiche: »Ich habe Glück gehabt, großes Glück. Ich bin, trotz allem, am Leben geblieben. Und wenn ich lebe, dann bedeutet das für mich, daß ich anderen helfen muß.«
Ganz kann ein Leben wohl nie mehr werden, wie es war, wenn man mit 18 Jahren im Kreis der Mitgefangenen in Auschwitz vom Lagerkommandanten belehrt wird: »Seht ihr den Kamin da drüben, seht ihr das Krematorium? Es ist der einzige Weg ins Freie, durch den Kamin ...« Wer dem Unsäglichen entronnen ist, der kann entweder auf Rache und Vergeltung sinnen nach dem alten »Aug um Aug, Zahn um Zahn« - oder er kann sich entschließen, den Teufelskreis der Gewalt ein für allemal zu durchbrechen. Bartoszewski hat sich für den zweiten Weg entschieden. Er war nicht der leichtere, er war der gefährlichere, schwerere. Denn die Irrfahrt ging weiter, jahrelang, jahrzehntelang.
Vergessen wir nicht: Juden Hilfe zu leisten, auch die geringste: Ein Glas Wasser, ein Essen, eine Unterkunft - darauf stand in der Besatzungszeit in Polen die Todesstrafe. Judenhelfer. Judenretter waren nicht weniger gefährdet als Untergrundkämpfer, sie riskierten fast noch mehr. »Der Alltag der Judenhelfer«, schreibt Stanislaw Lem, »wimmelte von kritischen Situationen … Irgendein planmäßiges Vorgehen, mit genügender Absicherung gegenüber Spitzeln, Erpressern, deutschen Fallen und Provokationen war ausgeschlossen. Was auch geplant oder vorbereitet wurde, scheiterte oft an irgendeinem bösen Zufall, und der Helfer, der sich nicht rechtzeitig zurückgezogen hatte, sondern das größer werdende Risiko hinnehmen wollte, mußte manches Mal das tödliche Los der Juden teilen« (Einleitung zu W. Bartoszewski, Das Warschauer Ghetto - wie es wirklich war, 1983, 10).
Rund 20 000 Juden sind im Krieg in Warschau von der polnischen Bevölkerung versteckt worden, mit falschen Arbeitskarten, Pässen, Geburtsurkunden (die Kirche half mit). Der Hilfsrat für die Juden baute unter Bartoszewskis maßgeblicher Mitwirkung ein Nachrichtensystem auf, das bis in die Gefängniszellen und die Konzentrationslager hineinreichte. Erste Nachrichten über Auschwitz liefen über die Kanäle der polnischen nationalen Widerstandsbewegung in den Westen. Es waren überaus riskante Tätigkeiten: Hilfe für Häftlinge, Sammlung von Materialien im Untergrund, Verfassen von Berichten und Dokumenten, journalistische und pädagogische Arbeiten. Trotz aller Bedrohungen und Blutopfer lebte der polnische Untergrund- und Zukunftsstaat - er entfaltete sogar seine eigene Kulturpolitik. Es gab ein illegales Bildungswesen, Geheimunterricht im Untergrund, Hochschulen in Privatwohnungen, Konzerte, Autorenlesungen, Katechese in Kirchen, Gottesdienste, Feste, Feiern ... Christoph Kleßmann hat die erstaunlichen Zeugnisse dieses nationalen Überlebenswillens in seinem Buch »Die Selbstbehauptung einer Nation« (1971) gesammelt. Wer es liest, versteht besser als zuvor, wie die Polen es fertigbrachten, Sprache und Literatur, Religion und geschichtliche Überlieferung auch durch die Zeit der Teilung hindurchzuretten - er begreift aber auch etwas von der patriotischen Leidenschaft, die Jahrzehnte später in der Solidarność-Bewegung aufbrach.
Helfen - das war das eine in jenen Jahren. Das andere war: Sich-Erinnern, Zeugnisse sammeln, Schreiben, Verarbeiten, Dokumentieren. »Schreibe!« sagte das Mädchen Hanka - später selbst ein Opfer - zu dem kranken, aus Auschwitz zurückgekehrten Bartoszewski. Und er erinnert sich: »Endlich war mein Widerstand durchbrochen, die Barriere der Angst beseitigt. Ich berichtete und wurde gesund (Herbst der Hoffnungen, 59).« Den Opfern helfen und die Taten der Henker festhalten - das wird nun über Jahre hin Bartoszewski doppelte Aufgabe; aus ihr erwächst - in einer Symbiose von erlebter Geschichte und erinnernder Geschichtsschreibung - sein historisches Werk.
Dieses Werk, niedergeschrieben hauptsächlich in den 60er und 70er Jahren, liegt heute in 18 Büchern und über 400 Aufsätzen und Beiträgen - meist polnisch, englisch und französisch, in jüngster Zeit auch deutsch - vor. Nichts von dem, was hier kritisch gesammelt und dargestellt ist, bewegt sich außerhalb der vom Autor erlebten und erlittenen Zeitgeschichte. Alles ist durch Zeugenschaft belegt. So stehen Aussagen von Beteiligten in diesem Geschichtswerk neben Aktenstücken, mündlich überlieferte Vorgänge ergänzen die Materialien der Archive. Und so gegenwärtig und schrecklich nahe die Geschehnisse sind - der Autor bemüht sich bei der Darstellung um eine fast leidenschaftslose Objektivität. Tonlos unpathetisch werden die Schrecken einer Epoche festgehalten, nirgends regen sich vordergründiger Moralismus oder schneller Triumph, überall sprechen die Ereignisse mit einer Eindringlichkeit, die des Kommentars nicht bedarf - ob es sich nun um die Geschichte des SS-Obergruppenführers von dem Bach handelt, um die Studie über die beiden Warschauer Aufstände im Ghetto 1943 und der ganzen Stadt 1944, um die Darstellungen der Hilfe für Juden und Polen während der Okkupation oder um das Porträt des polnischen Untergrundstaates 1939-45.
Wie Geschichtsschreibung hervorwächst aus Totengedenken - das kann man in Bartoszewskis Buch »Der Todesring um Warschau« (poln. 1967, 1970, dt. 1969) studieren. In diesem beklemmenden Meisterwerk gehen viele Tatsachenerhebungen unmittelbar auf Bartoszewskis Beobachtungen während der Besatzungszeit zurück. Menschen verschwanden damals plötzlich aus dem zentralen Gefängnis der Sicherheitspolizei, das im Warschauer Ghetto lag; polnische Forstleute entdeckten rund um Warschau Erschießungsplätze, beobachteten Exekutionen; ein allmählich wachsendes Nachrichtennetz signalisierte Massentransporte nach Auschwitz und mehreren anderen Lagern. So fügte sich aus vielen Einzelberichten und geheimen Mitteilungen ein Mosaikbild des Schreckens zusammen. Von 1942 an war kein Zweifel mehr: ein organisierter Genozid war in Gang gekommen -und das Pawiak-Gefängnis diente als Umschlagplatz für die Ströme in die Vernichtungslager. Nach dem Krieg konnte vieles überprüft, durch Ausgrabungen gesichert, durch Zeugenaussagen erhärtet werden. Bartoszewski hält die Formen und Etappen der Ausrottung in Tabellen fest, 5000 Namen (nur ein kleiner Ausschnitt!) mit ihren Schicksalen, ihrem Kampf, ihrem einsamen Tod. Als einer der lebenden Zeugen fühlt er sich verpflichtet, ihr Andenken zu bewahren und zugleich seiner Heimatstadt Warschau ein Denkmal zu setzen: Warschau, das sich als einzige europäische Stadt dem NS-Staat entgegenwarf; Warschau, wo Juden und Polen kämpften - zwei Völker, die nie aufgegeben haben.
»Es gibt kein Leben um jeden Preis«
Ein Gejagter, der nicht zum Jäger wurde ... ein Chronist des Leidens und der Selbstbehauptung ... Historie als Epitaph, als Totengeschichte. Doch ich muß von Władysław Bartoszewski noch in einer anderen Weise sprechen, ich muß ihn aufrufen nicht nur als Schilderer polnisch-deutscher Vergangenheit, sondern auch als Zeugen polnisch-deutscher Gegenwart und Zukunft. Denn hat er nicht seit den 60er Jahren immer wieder Deutschland besucht? Hat er nicht mit vielen Deutschen gesprochen, hat er nicht auch als einer der ersten Polen sein Verständnis für die harten menschlichen Erfahrungen der deutschen Vertriebenen geäußert? Hat er nicht in vielen Vorträgen und Vorlesungen - in Berlin, Eichstätt, München, in Frankfurt, Köln, Bonn -und in vielen Büchern eine wachsende Hörer- und Leserschaft gefunden, vor allem unter jungen Leuten?
Gestalt und Werk Bartoszewskis erinnern uns Deutsche an verschüttete Möglichkeiten des polnisch-deutschen Gesprächs. Deutsche und Polen waren ja nicht immer Angstgegner im Lauf einer von Krisen und Katastrophen beherrschten Geschichte, es gab Perioden friedlicher und neugieriger Nachbarschaft, Zeiten des Austauschs, des Handels, der Durchdringung und Vermischung. Man braucht nicht in die Zeiten Jan Sobieskis zurückzugehen, der Wien vor den Türken rettete, in die Zeiten, als Polen das Antemurale, die europäische Vormauer im Osten war; man erinnere sich nur daran, daß dieses Polen bis ins 18. Jahrhundert hinein - wegen der Glaubensfreiheit für den polnischen Adel! - ein Land der religiösen Zuflucht für viele Minderheiten, jüdische wie christliche, gewesen ist. Die Grenzen nach Westen waren fließend. Das barocke Warschau und das barocke Dresden entstanden fast gleichzeitig an Weichsel und Elbe, für den sächsischen Polenkönig hat der Protestant Bach seine Hohe Messe geschrieben. Auch als der polnische Staat, freiheitlich bis zur Anarchie, ins Magnetfeld stärkerer Kräfte geriet und Teilung und Auflösung sich ankündigten, nahmen die künstlerischen und wissenschaftlichen Beziehungen eher noch zu: so hat Marian Szyrocki kürzlich an Goethes polnische Bekanntschaften erinnert, an seine Fahrt zur Knappschaft in Tarnowitz, an die polnischen Gelehrten und Schriftsteller, die in Weimar aus- und eingingen, an den Fürsten Anton Heinrich Radziwill, Verwalter der Provinz Posen, der eine Musik zum Faust schrieb, an Marie Szymanowska, deren köstliches Klavierspiel Goethe entzückte und der er in Marienbad das dritte Gedicht der Trilogie der Leidenschaften ins Album schrieb (M. Syzrocki, »Näher verwandt«, in: Suche die Meinung. Karl Dedecius ... zum 65. Geburtstag, hrsg. von E. Grözinger und A. Lawaty, 1986, 166ff.). Daß man den polnischen Staat von der Landkarte löschte, stieß gerade in den deutschen Staaten des Alten Reiches und im Deutschen Bund auf Proteste: schon die von Schubart herausgegebene »Deutsche Chronik« sah 1774 Polonia mit fliegendem Haar und jammerbleichem Gesicht die Hände ringen, und nach 1815 ergriffen deutsche Dichter in unzähligen Polenliedern für das um seine Freiheit kämpfende Land Partei, so Grillparzer, Lenau, Platen, Hebbel, Hoffmann von Fallersleben, Herwegh, Uhland, Keller ... (Staunend-befremdete Huldigungen an das so gänzlich andere Land gibt es übrigens auch in der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts: in Döblins »Reise in Polen» (1925), in Benns »Finis Poloniae« - und auf Schritt und Tritt bei August Scholtis, Siegfried Lenz, Günter Grass, Horst Bienek.)
Die polenfreundlichen Stimmungen steigerten sich im Vormärz in Deutschland bis zur Siedehitze - bis hin zur Waffenbrüderschaft polnischer Aufständischer und deutscher Revolutionäre im Zeichen eines als gemeinsam empfundenen Freiheitskampfes. Der edle Pole, vom Untergang umwittert, todesnah in schöner Verzweiflung, wurde ein fast zu geläufiges Sujet der Salons, der lyrischen Zirkel. Aber dann ebbte die Stimmung jäh ab - die realistische Wendung der deutschen Politik bereitete sich vor. Staatlicher Egoismus und nicht Romantik, Priorität der Macht, nicht der Gefühle, keine papierenen Beschlüsse, sondern Blut und Eisen - so tönte es jetzt aus dem nachrevolutionär ernüchterten Deutschland, in dem Preußen die Führung übernahm. Die nationalen Abgrenzungsparolen gingen dann zu Ende des Jahrhunderts immer unverhüllter in Beherrschungsparolen über. Angst auf beiden Seiten ... hinter dem Nationalitätenkampf der Rassenkampf. Der Erste Weltkrieg stellte Polen wieder her, aber die alten Rechnungen blieben. Der Versailler Vertrag - klägliches Zeugnis eines säkularisierten, zum Friedensschluß unfähigen Europa - brachte weder im Westen noch im Osten Entspannung auf Dauer. Und der entsetzliche Genozid des Dritten Reiches an Polen und Juden - ein Unrecht, über das nie Gras wachsen wird - wählte die polnische Erde ganz selbstverständlich als Experimentierfeld aus - so als seien in diesem von altersher zerspaltenen Land die Gesetze der Zivilisation und Humanität schon immer außer Kraft gewesen.
Verschüttete Möglichkeiten des polnisch-deutschen Gesprächs ... Bartoszewski ist Katholik und Demokrat. Hier, in der Paulskirche, wurde 1948 der Antrag gestellt, die Nationalversammlung solle die Teilungen Polens für ein schmachvolles Unrecht erklären und eine Pflicht des deutschen Volkes statuieren, an der Wiederherstellung eines selbständigen Polen mitzuwirken. Er fand ebensowenig eine Mehrheit wie das Amendement des katholischen Abgeordneten Dötlinger aus München, das darauf abzielte, den Einwohnern des Großherzogtums Posen die Rechte und Freiheiten der Deutschen, aber auch die Erhaltung und Pflege der polnischen Nationalität gleichberechtigt mit der deutschen zu gewährleisten. »Das meine ich«, rief Döllinger aus, »daß wir schuldig sind, dem Theile der polnischen Nation, der einmal per fas oder nefas mit uns zusammenhängt, wahre Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das heißt Schonung seiner Nationalität und Gewährung der Mittel, durch welche ihn ihre Erhaltung und Entwicklung möglich wird ... Hüten wir uns Alle, daß Deutschland nicht ein neues Irland an seiner Nordostgrenze erhalte« (Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Bd. VII, 1849, 5066 ff.).
Prophetische Worte! Doch die Geschichte ist einen anderen Weg gegangen. Die alten Kämpfe um Rechte und strategische Einflußzonen, um Minderheiten und Mehrheiten, um Sprach- und Staatsgrenzen, endlich um Herrschaft schlechthin gingen weiter bis zum bitteren und nutzlosen Ende. Den Polen und Deutschen, die nie Erbfeinde waren, die über die längste Zeit ihrer Geschichte hin friedlich zusammenlebten, ist zu später Stunde das Ärgste nicht erspart geblieben: Krieg, Zerstörung, unerhörte Menschenopfer, Unterdrückung, Vertreibung aus angestammten Gebieten (denn auch die Vertreibung ist gemeinsames Los der Deutschen wie der Polen im 20. Jahrhundert!). Soll dies nun das Ende sein? Soll es künftig zwischen Deutschen und Polen nur feindselige Erinnerungen, nur Anspruch und Argwohn auf beiden Seiten geben? Oder ist auch zwischen Völkern ein neuer Anfang möglich wie zwischen Individuen?
Das Gespräch zwischen Polen und Deutschen ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wieder aufgenommen worden. Ja, es ist von Jahr zu Jahr lebhafter und intensiver geworden. Wissenschaftlicher, literarischer, künstlerischer Austausch ist in Gang gekommen. Die Kirchen haben Versöhnungsbotschaften ausgetauscht. Junge Menschen lernten einander kennen. Viele Personen haben sich in diesem Gespräch engagiert: ich nenne auf polnischer Seite Autoren wie Gombrowicz, Rózewicz, Wirpsa, Lem, Herbert und den Kreis um die Krakauer Zeitschrift »Tygodnik Powszechny« - auf deutscher Seite Namen wie Karl Dedecius, Gotthold Rhode, Heinrich Böll und Reinhold Lehmann. Die Deutschen wissen heute weit mehr von Polen als noch in den 60er und 70er Jahren. Sie haben die Geschehnisse der letzten Jahre mit angehaltenem Atem verfolgt: den Kampf der Danziger Werftarbeiter um Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die kecke, hochherzige Figur des Lech Wałesa, den wagemutigen Versuch der Gründung freier Gewerkschaften im monolithischen Ostblock, die Solidarität der polnischen Intellektuellen, deren maßgeblicher Sprecher Władysław Bartoszewski als Generalsekretär des polnischen PEN war, den Besuch des Papstes in seiner polnischen Heimat. Und wenn unsere offizielle Politik jener mutigen Selbstbehauptung von Solidarność und den Opfern des Kriegsrechts einiges schuldig geblieben ist - in der deutschen Bevölkerung, und zwar in breiten Kreisen, ist doch etwas in Bewegung geraten. Nicht nur ein Strom praktischer Hilfe kam in Gang; auch emotional hat sich eine Zuwendung zu Polen angebahnt; man spürte von neuem, daß in Polen auch unsere Sache - die Sache der Freiheit, der Menschenrechte - verhandelt wurde. So wie es die Aufständischen in Polen vor 150 Jahren formuliert hatten, als sie sich, Solidarität heischend, an Europa wandten; »Für unsere und eure Freiheit!«
An dieser neuen Begegnung von Polen und Deutschen hat der Mann den wir heute ehren, einen wesentlichen Anteil. Er hat schon früh das Gespräch mit den Deutschen gesucht; besonders haben ihn die jungen Deutschen interessiert, die während des Krieges oder danach geboren wurden. Als er 1965 zum ersten Mal in die Bundesrepublik kam - ich lernte ihn damals in München kennen -, da war ihm keine Diskussion mit jungen Leuten zuviel. Mit vorsichtiger Sympathie hat er in »Tygodnik Powszechny« seinen Landsleuten über die neue deutsche Jugend berichtet, über den Wandel des äußeren Typs und der Lebensweise, über ihr unbeschwertes sicheres Benehmen, über die Höflichkeit und Freundlichkeit gegenüber dem Ausländer, die an die Stelle früherer Arroganz getreten sei (Tygodnik Powszechny vom 7. Nov, 1965, dt in: Dokumente, 1965, Heft 6. 477 ff.).
Bartoszewski ist ein keineswegs bequemer Mann. Er ficht zäh für seine Ansichten. Er liebt den Streit und trägt ihn aus. Gängige Meinungen reizen ihn zum Widerspruch. Im Kreis der allzu schwerelos Friedensbewegten wirkt er in seinem harten Realismus manchmal wie ein Steinerner Gast. Für ihn zählt nicht der gute Wille, sondern das Tun des Guten. Er glaubt auch nicht, daß die Barbarei an Partei-, Staats-, Volksgrenzen beginnt oder endet: der Kampf gegen sie wird im eigenen Herzen geführt. Er sagt: Es gibt kein Leben um jeden Preis. Frieden kann nur aus Zivilcourage erwachsen. Mit Hitler und Stalin konnte und durfte man keinen Frieden machen. Es gibt Situationen, in denen man sich dem Strom entgegenstellen muß. Und: es sind immer nur wenige, die die Kraft dazu haben.
Władysław Bartoszewski hat vieles gewagt in seinem Leben: Kopf und Kragen, bürgerliche Sicherheit, Glück und Karriere. Er hat unbeugsamen Mut bewiesen. Mut - das Wort geht uns so leicht über die Lippen in unserer westlichen, reichen, freien Welt. Aber als verfolgter Pole den noch viel mehr verfolgten Juden zu helfen, als Opfer des NS-Terrors an der polnisch-deutschen Versöhnung mitzuarbeiten, als Wissenschaftler und Schriftsteller für die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kirche zu streiten - dazu gehört Mut.
Eines ist sicher: sollte die deutsch-polnische Versöhnung gelingen, wird Władysław Bartoszewski einer ihrer Pioniere, ihrer Gründerväter gewesen sein.
Man ruft so oft nach Vorbildern. Er ist eins.
Wir gratulieren Władysław Bartoszewski zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1986!
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Hans Maier
Laudatio
Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Umsiedler, Spätaussiedler - sie alle gehören zu den Opfern des Krieges ebenso wie jene Polen, die infolge des Zweiten Weltkrieges ihre eigentliche Heimat in Lemberg, Wilna oder anderswo im europäischen Osten verloren haben. Die tragisch verwickelten historischen und politischen Umstände führten dazu, daß die Polen vielleicht besser als viele andere Völker in Europa in der Lage sind, die Leiden und Schwierigkeiten der Menschen zu verstehen, die gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen. Sie verstehen auch das Problem der Spaltung eines Volkes, weil sie es selbst erlebt haben.
Władysław Bartoszewski - Dankesrede
Władysław Bartoszewski
Kein Frieden ohne Freiheit
Dankesrede
Die Laudatio von Professor Hans Maier nehme ich mit um so größerer Dankbarkeit und Rührung an, als ich nicht vergessen habe, daß Hans Maier als Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken zu jenen deutschen Intellektuellen gehörte, die im Dezember 1981, als ich mit vielen anderen der Freiheit beraubt war, an die Behörden der Polnischen Volksrepublik mit der Forderung herantraten, mich und meine Freunde aus der Haft zu entlassen.
Die Zuerkennung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels war für mich ebenso überraschend wie erfreulich. Und da ich gewohnt bin, Inhalt und Sinn der mir zuerkannten Auszeichnungen ernst zu nehmen, erachte ich den Friedenspreis als äußerst verpflichtend für mich. Unter den bisherigen Trägern dieses Preises fehlt es ja nicht an Persönlichkeiten, die in hohem Maße zur Formung von grundlegenden Begriffen auf den Gebieten der Sozialmoral beigetragen haben: Ideen vom Menschen, von den Zielen seines Daseins, von den erhabenen Idealen der Freiheit und des Friedens, von den Erfahrungen aus der Geschichte und den Perspektiven künftiger geschichtlicher Entwicklung. Es fehlt nicht an Menschen, die durch ihre Worte und Werke einen nicht geringen Einfluß auf mein eigenes Leben ausgeübt haben, aber vor allem durch ihre Haltung im Augenblick der endgültigen Entscheidung - ich denke an Dr. Henryk Goldszmit, Janusz Korczak, einen der stillen Helden unseres Jahrhunderts. In den ersten Jahren, in denen der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, ehrte man Persönlichkeiten, die heute schon auf den Ehrentafeln der europäischen Kultur verzeichnet sind: Albert Schweitzer. Romano Guardini, Martin Buber, Reinhold Schneider und Karl Jaspers. Im letzten Jahrzehnt finden sich unter den Trägern dieses Preises auch Menschen mit anderen, besonderen Erfahrungen, die für unsere Epoche bezeichnend sind: Leszek Kolakowski, Lew Kopelew und Manès Sperber. Mit dem in diesem Raum im Oktober 1983 vorgetragenen moralischen und politischen Testament des inzwischen verstorbenen Manès Sperber identifiziere ich mich ganz.
Es ist mir besonders angenehm, daß mein unmittelbarer Vorgänger als Friedenspreisträger 1985 Teddy Kollek gewesen ist, der Bürgermeister von Jerusalem; jener Stadt, die für mein Empfinden nicht nur die heilige Stadt dreier Religionen - der mosaischen, der christlichen und der islamischen - war und ist, sondern auch die Stadt der ganzen Menschheit. Ein Mann also, der sein tiefstes patriotisches Empfinden für sein eigenes Volk und seinen Staat mit echter Wertschätzung für Menschen anderer Bekenntnisse, anderer Nationalitäten, anderer Anschauungen verbindet.
Nie wurde in Europa so viel wie heute vom Frieden gesprochen, von der Notwendigkeit des Friedens, von der Verteidigung des Friedens, von der Friedensliebe. Manchmal drängt sich die Angst auf, daß in der Flut von Äußerungen und Deklarationen, Beschwörungen und Parolen zu diesem Thema der wahre - also der tiefere - Sinn des eigentlichen Begriffes verlorengeht. Es entsteht geradezu der Verdacht, daß es in vielen Fällen mehr um eigene Ruhe und Bequemlichkeit geht, als um den Frieden, und daß der Begriff des Friedens ein Gegenstand der Manipulation geworden ist. Wir bedienen uns seiner immer häufiger, aber wir denken immer seltener über die Bedingungen nach, die zu erfüllen sind, um FRIEDEN zu einem gemeinsamen Begriff für die gesamte zivilisierte Menschheit zu machen. Dabei hat doch einer der größten deutschen Geister des 20. Jahrhunderts, Karl Jaspers, hier in der Paulskirche in seiner Friedenspreisrede drei Grundsätze formuliert, deren Tiefe und Einfachheit im Lichte heutiger Erfahrungen noch deutlicher sind als 1958:
»Erstens: Kein äußerer Friede ist ohne den inneren Frieden der Menschen zu halten. Zweitens: Friede ist allein durch Freiheit. Drittens: Freiheit ist allein durch Wahrheit.«
Und ganz eindeutig:
»Erst die Freiheit, dann der Friede in der Welt! Die umgekehrte Forderung: Erst Friede, dann Freiheit täuscht. Denn ein durch Zufall oder durch Despotie oder geschickte Operation oder durch Angst aller Beteiligten für den Augenblick bestehender äußerer Friede ist nicht ein im Grunde des Menschen selbst gesicherter Friede. Er würde aus dem faktischen Unfrieden, der Unfreiheit der einzelnen bald wieder zum Kriege führen. (...) Wollen wir Freiheit und Frieden, so müssen wir in einem Raum der Wahrheit uns begegnen, der vor allen Parteiungen und Standpunkten liegt, vor unseren Entscheidungen und Entschlüssen.«
Ich gehöre der Generation an, die noch im Schatten der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges erzogen und in früher Jugend von der die menschliche Vorstellung übersteigenden Bewährungsprobe des Zweiten Weltkrieges gezeichnet wurde. Aber ich gehöre auch dem Volk an, das nach ungewöhnlich hart erlittener Unfreiheit im 19. Jahrhundert und nach einem kurzen Augenblick des Atemholens seit 1939 in seiner Existenz bedroht ist. Darum wohl hat die Sache des Friedens für mich ein besonderes Gewicht. Aber aus demselben Grund ist sie für mich auch untrennbar von der Sache der Freiheit des einzelnen Menschen und verschiedener Gruppen, von Glaubensfreiheit und Weltanschauungsfreiheit, von der Freiheit in der Wahl des Ortes und der Form des Lebens, der Wahl des politischen und wirtschaftlichen Systems, von der Freiheit des Wortes und dem Freisein von Angst. So lange diese Existenzbedingungen der Menschen nicht erfüllt sind, so lange sie nicht einmal auf unserem alten europäischen Subkontinent erfüllt sind, der sich auf die Tradition von so vielen Generationen von Menschen beruft, die aus gemeinsamen Quellen der Kultur und Zivilisation schöpften, so lange werden wir die Fundamente eines dauernden Friedens nicht sichern. Selbst dann nicht, wenn wir uns ihnen in einigen Ländern nähern würden.
In den Büchern des Alten Testaments finden wir die Warnung Moses', die er seinem Volk nach Jahren schwerer Erfahrungen zurief: »Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus der Geschichte.« (Dtn 32,7). Die Generation, der ich angehöre, hat mit eigenen Augen die Mauern und Drahtverhaue gesehen, welche die Menschen trennten: Die Mauern des Ghettos von Warschau und anderswo, die Mauer, die jahrelang quer durch Jerusalem lief, und die Mauer, die bis heute Berlin teilt. Es scheint das Wichtigste zu sein, all das zu unterstützen, was die Menschen verbindet, und sich all dem zu widersetzen, was die Menschen gegen ihren Willen trennt.
Kein Volk, kein Staat, keine Regierung und keine Partei besitzt ein Patent für Humanismus, Menschlichkeit und Edelmut, auch nicht für fehlerfreies Handeln. Aber es ist auch niemand in der heutigen Welt dazu verurteilt, für immer die Unterdrückung als Form der Machtausübung zu akzeptieren. Viele Staaten haben es recht gut verstanden, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, vor allem aus der Erfahrung, daß keine Idee des Hasses oder des imperialistischen Hochmuts sich bezahlt macht. Das Verkünden oder heimliche Praktizieren von Grundsätzen des Rassen-, Völker-, Glaubens- oder Klassenhasses wie überhaupt des Hasses irgendwelcher Gruppen gegen andere Menschen führt in eine Sackgasse. Man könnte dies als Binsenwahrheit erachten, aber ist dies auch mit Sicherheit ein völlig überwundenes Problem, eines, das nicht mehr existiert, nicht mehr aktuell ist in den internationalen Verhältnissen und in den inneren Zuständen mancher Staaten der gegenwärtigen Welt? Hat sich die politische Mentalität der Großmächte in genügendem Maße geändert? Ist eine reale Bereitschaft zum Kompromiß erkennbar, zu ehrlichem Verzicht auf die Erweiterung politischer und militärischer Einflußzonen unter offensichtlicher oder geheimer Anwendung von Gewaltmitteln, Diversion und Terror? Dies alles in einer Zeit, in welcher die freie Entfaltung von wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen Beziehungen und die Freiheit der Kontakte zwischen den Menschen in höherem Maße das Wohl vieler Völker garantieren könnten, als das verbissene Verharren bei traditionellen und - so möchte man meinen - längst kompromittierten Methoden der Gewalt.
Es wird im allgemeinen als unbestritten erachtet, daß in Europa auf dem ersten Platz der gemeinsamen Werte der Mensch steht, sein Leben, sein Wohl, seine Zukunft. Angesichts der Erfahrungen der Zeitgeschichte wagt wenigstens niemand, dies laut in Frage zu stellen, und schon das allein deutet auf einen gewissen Fortschritt hin. Der Mensch soll also in dieser Welt Ziel sein und nicht Werkzeug. Die Staaten, die sozialen Organisationen, die politischen Parteien sollen dem Menschen dienen und nicht er ihnen. Zu den Parolen des 18. Jahrhunderts: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hat sich die sehr realistisch verstandene Parole der sozialen Gerechtigkeit gesellt, also einer Ordnung, die die Anerkennung der Rechte der arbeitenden Menschen und die Sicherung von würdigen Lebensumständen garantiert. Aber gleichzeitig war doch dieses seinem Ende entgegengehende 20. Jahrhundert ein Jahrhundert schrecklicher Verbrechen am Menschen im Namen wahnsinniger Ideen. Und es wird gewiß in der Geschichte ein Jahrhundert der Massenvernichtung von Menschen unter dem Kryptonym »Endlösung der Judenfrage« oder unter anderen verschlüsselten Bezeichnungen bleiben, aber auch ein Jahrhundert der Konzentrationslager, geschaffen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten von Menschen für Menschen.
Die ganze zivilisierte Welt verurteilt in den letzten Jahrzehnten die Unterdrückung der Regierten durch die Regierenden. Leider gelang es uns bisher aber nicht, die Institution der Gewissenhäftlinge, Folterungen durch politische Polizei, Unterdrückung wegen einer Konfession oder einer Weltanschauung, Mord an Priestern verschiedener Konfessionen und verschiedene Arten von Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern nur noch aus der Literatur zu kennen. Nicht genug davon, der Fortschritt der Medizin führte im 20. Jahrhundert zu zwangsweiser Isolation und Mißhandlung von Menschen in psychiatrischen Anstalten, sofern sie Ansichten vertreten und verkünden, die der Ideologie und den Interessen der Macht widersprechen. Der Begriff der Freiheit des Wortes - untersucht in vielen Ländern, beschrieben in hunderten von Arbeiten von Politologen, Soziologen, Kommunikationswissenschaftlern - wird noch immer in den verschiedenen europäischen Ländern ganz unterschiedlich interpretiert Die primitive Überzeugung, daß das Fernhalten der Menschen von den Informationsquellen und dem freien Nachrichtenumlauf eine diskussionsfreie Beherrschung von Menschengruppen oder Völkern erleichtern werde und somit deren widerspruchslose Annahme einer einheitlichen Formel oder eines einheitlichen politischen und ideologischen Rezeptes erleichtert, kann auf dem heutigen Stand der Entwicklung der Massenkommunikationsmittel als Naivität, wenn nicht gar als Nonsens erachtet werden. Und doch besteht eine solche Praxis. Man kann jedoch als sicher annehmen, daß, wenn sie auch noch eine Zeitlang die angestrebten Resultate erbringen mag, sie sich doch in der Geschichte nicht verwirklichen und schließlich vorübergehen wird. Sie wird dereinst in ebenso unrühmlichem Licht erscheinen wie die Sklaverei.
Eine unbestrittene und glückliche Tatsache ist, daß wir in Europa - wiewohl leider nicht in der ganzen Welt - seit mehr als vierzig Jahren das Phänomen Krieg zwischen einzelnen Staaten nicht kennen. Ich würde jedoch zögern, die Situation in einigen Ländern Europas, in denen die besonders brutale Erscheinung des organisierten Terrors stets aufs neue blutige Opfer in der Bevölkerung hinterläßt, mit dem schönen Wort FRIEDEN zu bezeichnen. Es könnte scheinen, daß diesem düsteren, verbrecherischen Treiben entgegenzutreten, eines der wichtigsten Ziele der aufrichtig idealistischen Jugend sein müßte, die in verschiedenen europäischen Organisationen der Friedensbewegung wirkt. Es kann ja überhaupt nicht die Rede von Glaubwürdigkeit irgendwelcher Organisationen oder politischer Parteien sein, welche in ihren Programmen oder auch unterbewußt das Naturrecht und die aus ihm resultierenden Rechte mißachten, wie das Grundrecht zu leben und Leben zu verteidigen, das dem Menschen niemand schenken oder wegnehmen darf.
Haß, Feindschaft und Verachtung Menschen gegenüber haben auch heute verschiedene Gesichter, der Terrorismus ist nur eines davon. Aber wir kennen auch andere Gefährdungen der moralischen Ordnung. So praktiziert man zum Beispiel, angeblich um sogenanntes größeres Übel zu verhindern, nicht selten Nachgiebigkeit gegenüber der Übermacht und der Verletzung der grundsätzlichen Rechte des Menschen. Den Antisemitismus kleidet man gelegentlich in die falsche Maske des sogenannten Anti-Zionismus, was die Manipulation mit niederen Instinkten und das Wachrütteln von verschiedenen Ressentiments ermöglicht. Eine eigenartige Form der Menschenverachtung ist auch das apodiktische Festsetzen von Grenzen der Freiheit für die anderen, die pragmatische Nonchalance in der Behandlung unterdrückter Völker. Wie hell und eindeutig klingt vor diesem Hintergrund die Stimme des Papstes Johannes Paul II., der in seiner ersten Enzyklika »Redemptor Hominis« das Wesen der Menschenrechte als Fundament des Lebens im Frieden aufgegriffen hat: »Letzlich führt sich der Frieden zurück auf die Achtung der unverletzlichen Menschenrechte - opus iustitiae pax -, während der Krieg aus der Verletzung dieser Rechte entsteht und noch größere derartige Verletzungen nach sich zieht. Wenn die Menschenrechte in Friedenszeiten verletzt werden, ist dies besonders schmerzlich und stellt unter dem Gesichtspunkt des Fortschritts ein unverständliches Phänomen des Kampfes gegen den Menschen dar, das auf keine Weise mit irgendeinem Programm, das sich selbst als >humanistisch< bezeichnet, in Einklang gebracht werden kann. Wenn aber nun trotz dieser Voraussetzungen die Menschenrechte auf verschiedene Weise verletzt werden, wenn wir Zeugen von Konzentrationslagern, von Gewalt und von Torturen, von Terrorismus und vielfältigen Diskriminierungen sind, so muß das eine Folge anderer Verbindungen sein, die die Wirksamkeit der humanistischen Voraussetzungen in jenen modernen Programmen und Systemen bedrohen oder auch zunichte machen.« (Redemptor Hominis, XVII, § 17)
Indem er die Eigenschaften meiner Person formulierte, hat der Stiftungsrat für den Friedenspreis es für richtig gehalten, mich einen leidenschaftlichen Katholiken, einen leidenschaftlichen Polen und einen leidenschaftlichen Humanisten zu nennen. Diese ehrenvollen Bezeichnungen schöpfte man - so denke ich - aus einem Text des von mir hoch geschätzten Heinrich Böll, der mir 1983 in einem Rundfunk-Feuilleton liebenswürdigerweise seine freundliche Aufmerksamkeit schenkte. Ich bekenne offen, daß ich mich für einen leidenschaftlichen Menschen halte. Andere, mir zugeschriebene Eigenschaften sind ebenfalls richtig. Ich bin nämlich in Polen, also in Europa, geboren und wurde später in einer katholischen Kirche getauft. Ich erwähne hier nicht zufällig Polen, Europa und die Kirche, denn die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kreis von Tradition und Kultur, also auch zu dem, was hier Humanismus genannt wurde, verbindet mich untrennbar sowohl mit meiner Volkszugehörigkeit und der Tradition der Kirche, der ich angehöre, als auch mit dem gesamten Gedanken- und Kulturgut des Abendlandes. Ein ungemein wichtiges Element dieses Kulturgutes scheint mir die allen Europäern gemeinsame, durch Jahrhunderte gestaltete Wert- und Begriffshierarchie zu sein, welche Menschen über sprachliche, nationale und staatliche Grenzen hinweg näher zueinander brachte und verband. Ich denke daran, was Millionen von Menschen in Europa gemeinsam war: die Selbstverständlichkeit von Begriffen wie Freiheit, Menschenwürde, Ehrfurcht vor dem Leben, die negative Einstellung gegenüber allen Formen der Übermacht und Gewalt, die Solidarität mit den Verfolgten, die Sorge für die Schwachen und Wehrlosen, ein besonders ausgeprägter Schutz für Mutter und Kind. Für junge Menschen, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Polen erzogen wurden, waren dies selbstverständliche, in ganz Europa, also auch bei ihren Nachbarn, allgemein verpflichtende Werte. Der September 1939 und die folgenden Jahre waren daher nicht nur eine Periode von Leidenserfahrung und Opferbereitschaft im Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, sondern auch der Versuch, diese moralische Ordnung zu verteidigen. Die Praxis des Totalitarismus innerhalb der feindlichen Okkupation versuchte nämlich, diese Ordnung zu zertrümmern.
Die polnische Intelligenz, seit vielen Generationen in enger Verbindung mit den besten Kulturtraditionen Europas erzogen, voller Hochachtung für die Errungenschaften des abendländischen Geistes – auch des deutschen – stellte sich in den Jahren des Zweiten Weltkrieges oftmals die Frage, wie es überhaupt zu dem hatte kommen können. Auf welchem Humus konnte die Frucht dieses tiefen Hasses, dieser seelenlosen Grausamkeit gereift sein, wie sie die Vertreter des damaligen Deutschen Reiches, des damaligen Machtapparates, die herrschende nationalsozialistische Partei, ihre Enthusiasten, Anhänger oder auch nur blind gehorchende Menschen in den besetzten Gebieten Polens im Alltag repräsentierte? Wir warteten auf die Stimmen der Solidarität der deutschen christlichen Kirchen, auf Anzeichen der Ernüchterung, Zeichen Menschen menschlichen Protestes gegen die extremen Grausamkeiten, denen die »Untermenschen« – als welche die Slawen – und das »Ungeziefer« – als welches die Juden eingestuft wurden – zum Opfer fielen. Uns erreichten Nachrichten von mutigen Protesten mancher katholischer und evangelischer Priester, sowie von der Gruppe um die Geschwister Scholl und, in der letzten Kriegsphase, auch von der Bewegung des 20. Juli gegen das nationalsozialistische System. Doch wir horchten vergeblich auf wenigstens einen einzigen eindeutigen Satz zur Verteidigung der geschlagenen und unterjochten Völker, wie auch des polnischen Volkes. Wir stellten uns die Frage nach der Zukunft der Deutschen, der moralischen Zukunft der deutschen Gesellschaft nach diesem Krieg, dessen Ende unserer unverbrüchlichen Überzeugung nach eine furchtbare Niederlage des Bösen und der Sieg der Ideale der Freiheit und der Gerechtigkeit bringen müßte. Ich gebe zu, daß wir damals mit großer Skepsis die Möglichkeit der Veränderung eines Volkes in real vorstellbarer Zeit erwogen, eines Volkes, das einem Hitler die Macht anvertraut hatte und das nun zu den christlichen Werten Europas zurückkehren sollte.
Das deutsche Volk hat wahrlich einen gewaltigen Preis für den von Deutschen hervorgerufenen Krieg bezahlt: Menschenopfer, territoriale Verluste sowie die Teilung. Und doch haben die Achtung gebietende Mühe, die Arbeit, die Opferwilligkeit von Millionen Deutschen und vor allem die tiefgreifende politische Umkehr (der Anschluß an die großen Demokratien des Westens: Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, die schon in den Jahren 1939 bis 1941 die Gefahr des Nationalsozialismus für die Welt und für Deutschland richtig eingeschätzt hatten) es geschafft, daß der Wiederaufbau des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens zwischen Elbe und Rhein verhältnismäßig sehr schnell vorangegangen ist. Nicht Schritt halten damit konnte die moralische Bewältigung der Vergangenheit und das Erkennen von Konsequenzen, die unumgänglich notwendig waren für die psychische Gesundheit und das Prestige der Deutschen sowie für die Wiederkehr zur so schmerzlich vergewaltigten Hierarchie der gemeinsamen europäischen Kulturwerte. Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sagten am 8. Mai 1985, anläßlich des vierzigsten Jahrestages des Kriegsendes im Geiste der moralischen Ehrlichkeit, die allerhöchster Wertschätzung würdig ist:
»Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.
Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.«
Trotz allem, was unverändert in meiner Erinnerung geblieben ist - der Erinnerung eines Polen mit Erfahrungen und Kenntnissen aus den Jahren des Krieges und der Okkupation - hat meine jetzt mehr als zwanzigjährige Erfahrung in Kontakten mit Deutschen es mir ermöglicht, aufs neue an den Menschen in diesem Land zu glauben, an seine Fähigkeit und Bereitschaft, Gutes zu tun. Dabei spielten und spielen die Initiativen und Bemühungen vieler Intellektueller eine große Rolle, die schöne, humane Einstellung und viele namenlose Werke von Menschen guten Willens, aber auch Aktivitäten von Institutionen, etwa der christlichen Kirchen, sozialer, kultureller und wissenschaftlicher Organisationen und Vereine, sowie auch - vielleicht vor allem - die Bemühungen junger Deutscher mit offenen Augen und wachen Herzen, die in ihren polnischen Altersgenossen Partner, ja, vielleicht künftige Freunde sehen.
Schon in der ersten Hälfte der sechziger Jahre spielten die Initiativen der von der Evangelischen Kirche in Deutschland ins Leben gerufenen Aktion Sühnezeichen eine wichtige Rolle wie auch die der deutschen Sektion der internationalen Organisation Pax Christi und später das leise, aber engagiert agierende Maximilian-Kolbe-Werk. Im Jahr 1965 wurde die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. In derselben Zeit beschäftigte sich eine Gruppe katholischer Intellektueller, die unter dem Namen Bensberger Kreis bekannt ist, mit der Problematik des deutsch-polnischen Verhältnisses. Im November 1965, gegen Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, faßten die polnischen katholischen Bischöfe einen Entschluß von historischer Bedeutung: Sie reichten mit ihrem an die katholischen deutschen Bischöfe gerichteten Brief als erste die Hand zur Versöhnung. Im Dezember 1965 antworteten die deutschen Bischöfe auf die Botschaft. Diese und viele andere Schritte, darunter vor allem die Kontakte unabhängiger polnischer Intellektueller mit verschiedenen sozialen und kulturellen Organisationen in der Bundesrepublik trugen zur Schaffung eines sozialen Klimas bei, das es den Politikern ermöglichte, einen weiteren Schritt zu tun: Der Vertrag zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970. Zweifellos ein politischer Akt von großer Bedeutung, der sich in gewissem Grad auf das wachsende Vertrauen und in hohem Maß auf die Besserung des Schicksals von Hunderttausenden von Menschen und auf die Belebung der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, zwischen Polen und Deutschen auswirkte. Aber wenn ich meine eigenen Erfahrungen in der sogenannten Friedensarbeit analysiere, muß ich dennoch auf der Behauptung beharren, daß das Wichtigste nicht das ist, was Politiker bereit sind, zu erkären und zu unterschreiben - obwohl man es nicht unterschätzen soll -, sondern, was im Empfinden, im Gewissen, im Intellekt der Menschen verschiedener Völker vor sich geht, wieweit das stereotype Denken vom anderen, der Egoismus, ja sogar Egotismus, überwunden wird. Wie weit etwa das Verständnis reift, daß das Land auf beiden Seiten von Rhein, Elbe, Oder und Weichsel, in dem wir hier und jetzt leben, in den Generationen unserer Enkel und Urenkel weiterhin der Wohnort und der Ort des gemeinsamen - besseren oder schlechteren - Daseins von Menschen ist und sein wird, die lernen müssen, miteinander auszukommen. Und wenn dies in dem Verhältnis der Deutschen zu den Polen und Polen zu den Deutschen wegen der derzeitigen Teilung Deutschlands und Teilung Europas schwieriger sein mag als zwischen anderen europäischen Völkern, so ist dies doch eine der großen Aufgaben, denen unsere Generation verpflichtet ist: nicht nur trotz der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, sondern eben wegen dieser Erfahrungen, welche bewiesen haben, daß das Denken in extremistischen Kategorien, Kategorien der Überheblichkeit oder des einseitigen Übergewichtes nirgendwohin führt, die überwiegende Mehrheit der heute lebenden Deutschen und Polen ist nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Das dispensiert die Älteren nicht, ihr Tatsachenwissen an die Nachkommen zu überliefern. Das Verbergen oder entstellen historischer Fakten führt zu nichts.
Die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit ist vor allem durch das Näherrücken und das gegenseitige bessere Verständnis von möglichst vielen Menschen erreichbar. Die völlige Aussöhnung von Völkern ist - wie aus vielen historischen Erfahrungen hervorgeht - ein psychologisch und gesellschaftlich viel schwierigerer und langsamerer Prozeß als die eventuelle politische Verständigung von Staaten. Öffentliche Erklärungen von Institutionen und Verträge von Politikern sollten eher Wege für die natürlichen und spontanen Kontakte der Menschen untereinander öffnen und verbreitern, als daß man sie schon als die Problemlösungen an sich betrachtet.
Ich habe nicht die Absicht, hier die sogenannten heiklen Probleme zu umgehen. Ich verstehe vollkommen, daß dazu für viele Deutsche das Problem der Oder-Neiße-Gebiete gehört. Die heutige Besiedlung dieses Territoriums durch rund elf Millionen Polen muß man als unmittelbare Folge des vom Dritten Reich verursachten Zweiten Weltkriegs erachten. Ich erlaube mir, mich hier abermals auf Ihre Aussage, Herr Bundespräsident, in der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag am 8. Mai 1985 zu berufen, die für viele von uns - sowohl Deutsche als auch Polen - psychologisch und moralisch von entscheidender Bedeutung ist:
»Hitler wollte die Herrschaft über Europa, und zwar durch Krieg. Den Anlaß dafür suchte und fand er in Polen.
Am 23. Mai 1939 - wenige Monate vor Kriegsausbruch - erklärte er vor der deutschen Generalität:
>Weitere Erfolge können ohne Blutvergießen nicht mehr errungen werden ... Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung ... Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen ...
Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle. <
Am 23. August 1939 wurde der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt geschlossen. Das geheime Zusatzprotokoll regelte die bevorstehende Aufteilung Polens.
Der Vertrag wurde geschlossen, um Hitler den Einmarsch in Polen zu ermöglichen. Das war der damaligen Führung der Sowjetunion voll bewußt. Allen politisch denkenden Menschen jener Zeit war klar, daß der deutsch-sowjetische Pakt Hitlers Einmarsch in Polen und damit den Zweiten Weltkrieg bedeutete.
Dadurch wird die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht verringert. Die Sowjetunion nahm den Krieg anderer Völker in Kauf, um sich am Ertrag zu beteiligen. Die Initiative zum Krieg aber ging von Deutschland aus, nicht von der Sowjetunion.
Es war Hitler, der zur Gewalt griff. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bleibt mit dem deutschen Namen verbunden.
Während dieses Krieges hat das nationalsozialistische Regime viele Völker gequält und geschändet.
Am Ende blieb nur noch ein Volk übrig, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden: das eigene, das deutsche Volk. Immer wieder hat Hitler ausgesprochen: wenn das deutsche Volk schon nicht fähig sei, in diesem Krieg zu siegen, dann möge es eben untergehen. Die anderen Völker wurden zunächst Opfer eines von Deutschland ausgehenden Krieges, bevor wir selbst zu Opfern unseres eigenen Krieges wurden.«
Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Umsiedler, Spätaussiedler - sie alle gehören zu den Opfern des Krieges ebenso wie jene Polen, die infolge des Zweiten Weltkrieges ihre eigentliche Heimat in Lemberg, Wilna oder anderswo im europäischen Osten verloren haben. Die tragisch verwickelten historischen und politischen Umstände führten dazu, daß die Polen vielleicht besser als viele andere Völker in Europa in der Lage sind, die Leiden und Schwierigkeiten der Menschen zu verstehen, die gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen. Sie verstehen auch das Problem der Spaltung eines Volkes, weil sie es selbst erlebt haben. Den Menschen ihre unmittelbare Heimat zu entziehen ist nie eine gute Tat, sondern immer eine böse Tat, selbst wenn man keinen anderen Ausweg aus einer bestimmten historischen und politischen Lage sieht. - Die Polen, die aus dem Osten Polens nach Niederschlesien oder Hinterpommern kamen, haben in den ersten Monaten nach dem Krieg gewiß mehr die Tragik ihres eigenen Schicksals empfunden als die Freude über den Sieg.
Wenn mir - dem damals kaum neunzehnjährigen Polen aus Warschau, der im Winter 1940 vor Kälte, Hunger und Angst zitternd auf dem Appellplatz von Auschwitz gesichts- und namenlos als »Schutzhäftling Pole Nr. 4427« stand - jemand gesagt hätte, daß ich im Verlauf eines einzigen Lebens den Wandel der überwiegenden Mehrheit der Deutschen zu einer Gesellschaft, die sich von humanitären Regeln leiten läßt und in einem rechtmäßigen europäischen Staat der parlamentarischen Demokratie lebt, erleben werde, so hätte ich das wahrscheinlich als optimistische Träumerei eines Utopisten angesehen. Und die Möglichkeit einer Anerkennung der Polen durch Deutsche, das Abgehen vom bereits im 19. Jahrhundert allgemein angenommenen und später aufrecht erhaltenen Stereotyp, daß der Pole schon von Natur aus ein niedriger stehender Mensch als der Deutsche sei, schien damals wenig wahrscheinlich. Und obwohl man bis heute diskutieren könnte, ob und in welchem Ausmaß die Stereotypen im Denken der Deutschen über die Polen und der Polen über die Deutschen überwunden worden sind, so scheint doch die schöne Feier, die wir heute in diesem historischen Gebäude erleben, ein nicht ganz bedeutungsloses Ereignis auf dem Weg jener Wandlungen zu sein, die Hoffnungen erwecken und ein wenig Optimismus gestatten. Da wurde einer jener Polen, die man damals vergeblich versuchte, zu erniedrigen und der Menschenwürde zu berauben, durch das hohe Gremium, das zweifellos die Elite der heutigen deutschen Gesellschaft repräsentiert, als jenes Preises für würdig erachtet, der für Friedensarbeit verliehen wird.
In der Entscheidung der Jury, die den Wert jener Aktivitäten unterstreicht, die die Anwendung von Gewalt und Haß ablehnen, sehe ich eine mittelbare Anerkennung des Weges aller meiner Landsleute - und es sind ihrer viele Millionen -, die mit großer Opferbereitschaft, in stillem Widerstand und dabei mit weit größerem Realitätssinn, als man ihn oft den Polen zuschreibt, ihre Stimme zur Verteidigung der ethischen und sozialen Grundwerte erheben. Sie fordern die Achtung der Rechte des Menschen auf ein würdiges und freies Leben und somit die Achtung der Rechte der Arbeiter, der Angestellten und der Bauern auf gemeinsame Verwaltung des eigenen Landes. Ich denke an die mächtige soziale Bewegung, der nur in dem kurzen Zeitabschnitt von einigen Monaten eine von der Staatsgewalt der Polnischen Volksrepublik akzeptierte Tätigkeit genehmigt worden war - bekannt unter dem Namen »Solidarność«, Solidarität. Ich denke auch an diejenigen, die bis heute im Namen derselben moralischen und ideellen Grundsätze gewaltlos kämpfen, immer wieder in Gefängnisse kommen und anderen Beschränkungen und Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Das Entstehen der Gewerkschaft Solidarność und die damit verbundene Entwicklung einer sozialen Bewegung waren sui generis Ausdruck und Fortsetzung jener Freiheitsliebe, die die Polen in der Geschichte schon mehrfach bewiesen haben. Die Ideen dieser Bewegung, ihre Tätigkeit zum Wohl der arbeitenden Menschen, ihr hartnäckiges Trachten, strittige Probleme auf dem Weg des ehrlichen Dialogs zu lösen, unterstützt Papst Johannes Paul II., eine große Autorität unserer Tage, eindeutig in seinen Äußerungen.
Im Verlauf der letzten paar Jahre haben sehr viele Menschen guten Willens in Deutschland im Geiste der Nächstenliebe und der Solidarität dem polnischen Volk Hilfe geleistet. Die volle psychologische Bedeutung dieser Tatsache wird sich vielleicht in der Zukunft als noch wichtiger erweisen als ihre unzweifelhafte materielle Bedeutung.
Der deutsche Historiker Osteuropas, Professor Jörg K. Hoensch, behauptet in seiner vor drei Jahren veröffentlichten »Geschichte Polens« bei der Erörterung der aktuellen Lage Polens und der Polen:
»... daß sich in Polen eine moderne, reife, strukturierte und selbstbewußte Gesellschaftsformation herausgebildet hat, die ein lebendiges Traditionsbewußtsein, ein hingebungsvoller Patriotismus und eine tiefe emotionale Bindung an den Katholizismus mit der wechselvollen Geschichte der Nation verbindet. Das Wissen um die Meisterung der vielfältigen, die Eigenstaatlichkeit und die ethnische Substanz Polens bedrohenden Gefahren in der Vergangenheit, die Überzeugung, über die vornehmsten Tugenden der abendländisch-christlichen Kultur zu verfügen, die ungebrochene Lebenskraft und Regenerationsfähigkeit, der Bildungseifer und die nationale Solidarität untereinander sind Garanten für die konstruktive Bewältigung der weiterhin gravierenden Probleme der Gegenwart.«
Mag sein, daß diese Einschätzung allzu optimistisch ist. Aber auf jeden Fall rechnen die Polen auf das Verständnis und die Solidarität des deutschen Volkes, die ein wichtiger Faktor beim Bau von Brücken zwischen unseren Völkern werden können. Vielleicht wird es auch mir gegeben sein, daran weiter mitzuarbeiten.
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Władysław Bartoszewski
Dankesrede des Preisträgers
Chronik des Jahres 1986
+++ An Neujahr 1986 wenden sich der US-Präsident Reagan in einer Fernsehansprache an das sowjetische und der sowjetische Parteichef Gorbatschow an das amerikanische Volk. Beide Politiker unterstreichen ihren Willen zur Abrüstung. Gorbatschow schlägt einen Drei-Stufen-Plan für den Abbau aller Atomwaffen bis zum Jahr 2000 vor. +++ Kurz nach dem Start explodiert am 28. Januar die US-amerikanische Raumfähre »Challenger«. Alle sieben Besatzungsmitglieder kommen bei der bislang schwersten Katastrophe der Raumfahrt ums Leben. +++
Der Präsident Haitis, Jean-Claude Duvalier, genannt »Baby Doc«, wird im Februar gestürzt und muss das Land verlassen. »Baby Doc« hatte 1971 die Macht übernommen und das Terrorregime seines Vaters fortgesetzt. +++ Im gleichen Monat verlässt unter dem Druck von Opposition und USA der philippinische Präsident Marcos die Philippinen und geht ins Exil. Neue Präsidentin wird Corazón Aquino. +++ Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme wird am 27. Februar von einem Unbekannten erschossen. +++ Am 26. April ereignet sich die größte technische Katastrophe in der Geschichte der Menschheit: Durch unsachgemäße Wartungsarbeiten wird im sowjetischen Kernkraftwerk von Tschernobyl eine atomare Kettenreaktion ausgelöst, ein Reaktor explodiert. Durch die Detonation wird 40 bis 50-mal so viel Radioaktivität wie in Hiroshima freigesetzt, inoffiziell werden mehr als 30.000 Menschen getötet. Eine radioaktive Wolke trägt den giftigen Staub weit über die Grenzen der Sowjetunion hinaus. Im Mai verabschiedet die Bundesregierung eine Soforthilfe für Landwirte, deren Erzeugnisse wegen radioaktiver Verseuchung nicht verkauft werden können. +++ In Soweto bei Johannesburg / Südafrika kommt es im August zu den blutigsten Zusammenstößen zwischen der Polizei und schwarzen Demonstranten seit der Verhängung des Kriegsrechts. +++ Gegen die Howaldtwerke wird ab November ermittelt, weil sie Konstruktionspläne für U-Boote illegal an Südafrika verkauft haben sollen. Später wird in Bonn bestätigt, dass Bundeskanzler Kohl mit Südafrika informelle Gespräche über den Verkauf von U-Booten geführt hat. +++ Bei der Ausstrahlung der Neujahrsansprache von Bundeskanzler Kohl kommt es zu einer Panne: Es wird die Ansprache vom Vorjahr gesendet. Die ARD strahlt die korrekte Fassung einen Tag später aus. +++
Biographie Władysław Bartoszewski
Władysław Bartoszewski, geboren am 19. Februar 1922 in Warschau, wird 1940 bei einer Razzia gegen polnische Intellektuelle verhaftet und für sechs Monate in Auschwitz inhaftiert. Nach seiner Freilassung wegen schwerer Krankheit beginnt er ein Studium an der geheimen Warschauer Universität und engagiert sich in einer katholischen Widerstandsgruppe. Dabei nimmt er an Hilfsaktionen für verfolgte Juden teil.
Zwischen 1942 und 1944 ist Bartoszewski stellvertretender Leiter im Judenreferat der Londoner Exilregierung. Nach dem Krieg arbeitet er als freier Journalist, mehrmals wird er wegen angeblicher Spionage und aufgrund seines offenen Engagements für die demokratische Bewegung Polens inhaftiert.
In den 80er Jahren findet er zunächst Zuflucht im Wissenschaftskolleg zu Berlin und lehrt dann an unterschiedlichen Universitäten in Deutschland. Als Historiker beschäftigt er sich vor allem mit der polnischen Zeitgeschichte und dem deutsch-polnischen Verhältnis.
Nach dem demokratischen Umbruch in Polen wird Bartoszewski 1990 Botschafter in Wien. Fünf Jahre später übernimmt er für zwei Jahre das Amt des Außenministers, im Jahr 2000 noch einmal für ein Jahr. Der polnische Regierungschef Tusk beruft ihn 2007 als Staatssekretär für die Beziehungen zu Deutschland in sein Kabinett.
Władysław Bartoszewski ist am 24. April 2015 im Alter von 93 Jahren in Warschau gestorben.
Auszeichnungen
2014 Medaille für besondere Verdienste um das Land Mecklenburg-Vorpommern im vereinten Europa und der Welt
2014 Bayerischer Verdienstorden
2013 Elie Wiesel Award, ausgestellt vom United States Holocaust Memorial Museum
2012 Orden des Weißen Doppelkreuzes 2. Klasse
2009 Richeza-Preis des Landes NRW
2009 Kaiser-Otto-Preis der Stadt Magdeburg
2008 Verleihung des Bürgerpreises der Stadt Kassel Glas der Vernunft
2008 Verleihung des Adam-Mickiewicz-Preises für Verdienste um die Deutsch-Französisch-Polnische Zusammenarbeit
2008 Preis der Deutschen Gesellschaft e. V. für Verdienste um die deutsche und europäische Vereinigung
2008 Europäischer Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma
2007 Jan-Nowak-Jeziorański-Preis der Botschaft der USA
2007 Adalbert-Preis
2002 Internationaler Brückepreis
2002 Humanismus-Preis des Deutschen Altphilologenverbands
2002 Eugen-Kogon-Preis
2001 Komtur mit Stern des Verdienstordens der Republik Ungarn
2001 Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1997 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
1997 Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1997 St.-Liborius-Medaille für Einheit und Frieden vom Erzbistum Paderborn
1996 Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf
1996 Heinrich-Brauns-Preis
1995 Romano-Guardini-Preis
1995 Großes Goldenes Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich
1991 Großes Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1986 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1983 Herder-Preis, Wien
1965 Gerechter unter den Völkern
Bibliographie
Mein Auschwitz
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2015, ISBN 9783506781192, Gebunden, 282 Seiten, 29.90 EUR
Das Warschauer Ghetto – wie es wirklich war. Zeugenbericht eines Christen
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015, ISBN: 978-3-596-30412-7, Taschenbuch, 158 Seiten, 19.99 EUR