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Friedenspreis 1983

Manès Sperber

1983 wurde der ukrainische Schriftsteller und Philosoph Manès Sperber (1905-1984) mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Die Verleihung fand am Sonntag, den 16. Oktober 1983, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Alfred Grosser verlas für den erkrankten Friedenspreisträger die Rede. Die Laudatio hielt Siegfried Lenz.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1983Manès Sperber,dem Schriftsteller, der den Weg durch die ideologischen Verirrungen des Jahrhunderts mitgegangen ist und sich von ihnen befreite.


Er hat sein Leben lang die Unabhängigkeit seinen eigenen Urteils bewahrt und, unfähig zur Gleichgültigkeit, den Mut aufgebracht, jene nicht existente Brücke zu betreten, die sich nur vor dem ausbreitet, der seinen Fuß über den Abgrund setzt. Wir ehren Manès Sperber in Dankbarkeit.

Reden

Günther Christiansen
Grußwort des Vorstehers

Wo die Wahrheit in Bedrängnis gerät, wo man uns in trügerische Paradiese hineinzwingen will, wo die Gesetze der Moral außer Kraft gesetzt werden und eine anmaßende Macht den einzelnen zur Unmündigkeit verurteilt, kann man mit Manès Sperber rechnen, mit seinem Einspruch, mit seinem Widerstand, der beglaubigt wird durch jede Erfahrung am eigenen Leib.

Siegfried Lenz - Laudatio auf Manès Sperber
Siegfried Lenz
Laudatio

Für einen Europäer meiner Generation, aber auch für die Nachgeborenen, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Europa sich und zugleich seine unübertrefflichen Werte retten kann, wenn es föderativ vereint und, statt ein Zankapfel zwischen zwei Supermächten zu sein, selbst zu einer Großmacht wird, die weder eroberungs- noch rachsüchtig, jedoch nur aufs äußerste entschlossen bleibt, durch eigene, zulängliche Abwehrkräfte jene abzuschrecken, die sich durch seine Schwäche und den eigenen Hegemonismus ermutigt fühlen können, sich Europas zu bemächtigen.

Manès Sperber - Dankesrede
Manès Sperber
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1983

+++ Bei den vorgezogenen Bundestags-Neuwahlen im März 1983 erreicht die CDU / CSU mit der FDP die Mehrheit. Erstmals ziehen die Grünen mit 5,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag ein. +++ Ende April kündigt das Magazin Stern die Entdeckung und Veröffentlichung von Tagebüchern Adolf Hitlers an und beginnt mit deren Abdruck. Konrad Kujau, der dem Magazin die Hitler-Tagebücher verkauft hat, wird Ende Mai festgenommen und gesteht, sie selbst geschrieben zu haben. +++ Das Jahr steht im Zeichen der weltweiten Friedensbewegung, denn die politische Situation wird zunehmend vom atomaren Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR beherrscht. +++


Ende April wenden sich die katholischen Bischöfe der Bundesrepublik mit dem Hirtenwort »Gerechtigkeit schafft Frieden« gegen den Rüstungswettlauf. In der Bundesrepublik beteiligen sich an den Ostermärschen bis zu 700 000 Rüstungsgegner. Den Höhepunkt der Friedensbewegung bilden Ende Oktober eine 108 Kilometer lange »Menschenkette« sowie eine Großkundgebung in Bonn. Im November treffen in der Bundesrepublik die ersten Pershing-ii-Raketen im US-Militärdepot Mutlangen ein. +++ Am 1. Mai finden in mehreren polnischen Städten Demonstrationen für die verbotene Gewerkschaft Solidarność statt. Gegen die Demonstranten geht die Polizei mit Wasserwerfern und Schlagstöcken vor. Gewerkschaftsführer Lech Walesa wird im Dezember mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. +++ Der Schweizer Künstler Harald Nägeli, der »Sprayer von Zürich«, wird Ende August festgenommen. Die Behörden der Bundesrepublik liefern Nägeli, der mit auf Häuserfassaden gesprayten Strichmännchen gegen die Kälte der Betonstädte protestiert, aber seine Graffiti auch in Venedig hinterlässt, nicht aus, sondern setzen ihn wieder auf freien Fuß. +++ Sowjetische Abfangjäger schießen am 1. September eine südkoreanische Verkehrsmaschine ab, die mit einem US-Aufklärer verwechselt wird, als sie in den sowjetischen Luftraum eindringt. Dabei kommen 269 Menschen ums Leben. +++ Im Oktober wird bekannt gegeben, dass ein Drittel des deutschen Waldes erkrankt ist. Die Schäden sollen sich gegenüber 1982 vervierfacht haben. +++

Biographie Manès Sperber

Manès Sperber, geboren am 12. Dezember 1905 in Sabolotow / Ukraine, wird schon im Alter von 16 Jahren, nach der Flucht der Familie nach Wien, durch die Bekanntschaft mit Alfred Adler, dem Begründer der vergleichenden Individualpsychologie, geprägt. Er entscheidet sich für ein Psychologiestudium und beschäftigt sich fortan vor allem mit der Frage nach Macht und Gewalt.


Zwischen 1927 und 1933 lehrt der überzeugte Kommunist Sperber an verschiedenen Hochschulen in Berlin. 1933 muss er vor den einsetzenden Judenverfolgungen in Deutschland fliehen und gelangt über Jugoslawien und die Schweiz nach Paris. Angesichts der stalinistischen Säuberungsprozesse wendet er sich 1937 vom Marxismus-Leninismus ab. Als französischer Soldat nimmt er am Zweiten Weltkrieg teil und flüchtet nach der Niederlage Frankreichs in die Schweiz.

1950 erscheint sein erster Roman Der verbrannte Dornbusch, der seinen literarischen Ruhm begründet. Als skeptischer Humanist und unerbittlicher Kritiker totalitärer Systeme wird Sperber einem großen Publikum bekannt. In seinem 1972 veröffentlichten Buch Leben in dieser Zeit. 7 Fragen zur Gewalt lehnt er alle Formen politischer Gewalt als untaugliche Lösungsversuche ab.

Manès Sperber stirbt am 5. Februar 1984 in Paris im Alter von 78 Jahren.

Auszeichnungen

1983 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1983 Ehrenring der Stadt Wien
1979 Prix européen de l’essai


1979 Buber-Rosenzweig-Medaille
1977 Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur
1977 Franz-Nabl-Preis
1975 Georg-Büchner-Preis
1974 Literaturpreis der Stadt Wien
1973 Hansischer Goethe-Preis
1973 Ehrendoktorwürde der Sorbonne Paris
1971 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, I. Klasse
1971 Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1967 Remembrance Award der World Federation of Bergen-Belsen Associations

Laudator Siegfried Lenz

Siegfried Lenz, geboren am 7. März 1926 in Lyck / Ostpreußen, wird nach dem Abitur 1943 zur Marine einberufen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs desertiert er und versteckt sich die letzten Kriegsmonate in Dänemark.


Nach dem Krieg beginnt er in Hamburg ein Philosophie- und Literaturstudium, das er jedoch 1948 abbricht, um als Volontär, später als Feuilletonredakteur bei der Zeitung Die Welt zu arbeiten. Seit 1951 ist Siegfried Lenz als freier Schriftsteller tätig.

Bereits sein erster Roman Es waren Habichte in der Luft (1951) handelt von der Erfahrung totalitärer Herrschaft – eins seiner wichtigsten literarischen Themen, mit denen er eine sozialkritische Perspektive entwickelt, gebrochen durch existentielle, manchmal gar pessimistische Motive. Sein 1968 veröffentlichter Roman Deutschstunde macht ihn weltberühmt. Auch seine jüngste Erzählung Schweigeminute (2008) wurde zu einem Bestseller.

Lenz engagiert sich politisch für die SPD und begleitet 1970 zusammen mit Günter Grass Bundeskanzler Brandt zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau.

1988 erhält der Autor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Siegfried Lenz ist am 7. Oktober 2014 im Alter von 88 Jahren in Hamburg gestorben.