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Friedenspreis 1977

Leszek Kolakowski

1977 wird der polnische Philosoph und Publizist Leszek Kolakowski mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Die Verleihung fand am Sonntag, den 16. Oktober 1977, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hielt Gesine Schwan.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1977 Leszek Kolakowski, dem politischen Philosophen, der die Tradition der abendländischen Denker fortsetzt, der nie bereit ist, an die Unbelehrbarkeit der Menschen zu glauben, für den Offenheit des Denkens und Mut zur Wahrheit Voraussetzung aller gedanklichen Existenz ist. Weder zerstörerischer Fanatismus noch Resignation sind ihm Möglichkeiten der Wandlung.


Leszek Kolakowski lehrt uns hoffen, daß Vernunft, Bereitschaft zum Dialog und Abkehr von Intoleranz zum friedlichen Ausgleich zwischen den Menschen und deren Ideologien und Dogmen führen wird.

Reden

Sie verlangen von uns Mut, Irrtümer einzugestehen, neue Denkweisen zu akzeptieren und Vernunft vor Dogmen zu stellen.

Rolf Keller - Grußwort
Rolf Keller
Grußwort des Vorstehers

Aber die Einsicht in die Relativität und Perspektivität aller menschlichen Ansprüche, nicht zuletzt aller politischen und sozialen Entwürfe, entzieht jener Hybris, jener Anmaßung den Boden, die auch in der Gegenwart so häufig das Recht sich zuspricht, die eigenen politischen Absichten ohne Achtung vor der Freiheit des Andersdenkenden mit Gewalt durchzusetzen.

Gesine Schwan - Laudatio auf Leszek Kołakowski
Gesine Schwan
Laudatio

Auf unsicherem und sumpfigem Boden schreitend, irregehend, zurückkehrend, hier und dort herumkreisend, verfügen wir, um geistig zu überdauern, über wenige zuverlässige Orientierungszeichen, die sich alle auf einfache, längst bekannte Gebote und Verbote zurückführen lassen, worunter auch diese sind: Kampfbereitschaft ohne Haß, Versöhnlichkeitsgeist ohne Zugeständnisse im Wesen.

Leszek Kołakowski - Dankesrede
Leszek Kołakowski
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1977

+++ In der Tschechoslowakei wird Anfang Januar 1977 die Bürgerrechtsbewegung »Charta 77« gegründet. Sie veröffentlicht eine gleichnamige Resolution, in der die Regierung aufgefordert wird, die Menschen- und Bürgerrechte zu respektieren. Unter den Wortführern der Bewegung befinden sich der ehemalige Außenminister Jiri Hájek und der Schriftsteller Václav Havel. Sie werden immer wieder zu stundenlangen Polizeiverhören vorgeladen. +++ Ende Januar wird der Demokrat James Earl »Jimmy« Carter als 39. Präsident der USA vereidigt. +++


Frankreich entlässt Ende Juni seine letzte afrikanische Kolonie, Dschibuti, in die Unabhängigkeit. Stephen Biko erliegt am 12. September in Südafrika den Folgen von Folterungen und Misshandlungen durch die Polizei. Bei der größten Polizeiaktion in der Geschichte Südafrikas werden im Oktober mehrere oppositionelle Organisationen verboten und zahlreiche Schwarzen-Führer verhaftet. +++ Im April siedelt der Schriftsteller Reiner Kunze, der in der DDR starken Repressionen ausgesetzt war, in die Bundesrepublik über. +++ Im Juni erhält der Schauspieler Manfred Krug, der aufgrund seiner öffentlichen Kritik an der Ausbürgerung Wolf Biermanns zunehmend Repressalien ausgesetzt war, die Ausreisegenehmigung. +++ In der Bundesrepublik erreicht im »Deutschen Herbst« der Terror der »Roten Armee Fraktion« mit den Mordanschlägen auf Generalbundesanwalt Buback und den Bankier Ponto und mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer seinen Höhepunkt. Die Bundesrepublik befindet sich, so Bundeskanzler Helmut Schmidt, in der »schwersten Krise des Rechtsstaates«, als am 13. Oktober palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine »Landshut« entführen, um die Forderung der Schleyer-Entführer nach der Entlassung inhaftierter RAF-Häftlinge zu unterstützen. Fünf Tage später gelingt es der Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, GSG 9, die Maschine in Mogadischu / Somalia zu stürmen und die Geiseln zu befreien. Am selben Tag begehen die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe in der Haft in Stuttgart-Stammheim Selbstmord. Tags darauf wird Hanns Martin Schleyer im Kofferraum eines Autos ermordet aufgefunden. +++

Biographie Leszek Kołakowsk

Der kritische Denker Leszek Kołakowski, geboren am 23. Oktober 1927 in Radom (Polen), studiert Philosophie und Theologie und wird 1953 als Privatdozent für Philosophie an der Universität Warschau habilitiert. Kolakowski, Mitglied der KP, fordert beharrlich eine Revision des Marxismus. Er wird 1956 mit seiner Befürwortung eines humanistischen Marxismus einer der Wortführer des »Polnischen Oktobers«. 1958 übernimmt er eine Professur an der Warschauer Universität.


In den folgenden Jahren distanziert er sich nach und nach vom Marxismus und wird schließlich 1966 wegen kritischer Äußerungen zu den aktuellen Zuständen aus der Partei ausgeschlossen. 1968 stellt er sich auf die Seite der protestierenden Studenten und muss daraufhin seinen Lehrstuhl aufgeben.
Im Dezember desselben Jahres reist er nach Kanada aus und lehrt später in Oxford, Yale und Chicago. Neben der Auseinandersetzung mit dem Marxismus geht es Kolakowski in den folgenden Jahren um die Frage nach der Letzt-begründung menschlichen Lebens. Abseits von Aufklärung und Säkularisierung sucht er in einem Reservoir mythischer Bilder und Anschauungen die eigentliche Begründung des menschlichen Daseins.

Leszek Kolakowski stirbt am 17. Juli 2009 im Alter von 81 Jahren.

Auszeichnungen

2007 Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft
2003 John W. Kluge-Preis für ein herausragendes Lebenswerk im Dienste der Geisteswissenschaften
1998 Orden des Weißen Adlers


1994 Prix Tocqueville
1991 Ernst-Bloch-Preis
1983 Mc Arthur Foundation Prize
1983 Erasmuspreis für Verdienste um die europäische Kultur
1980 Europäischer Essaypreis
1977 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Bibliographie

Narr und Priester. Ein philosophisches Lesebuch

Hrsg. von Gesine Schwan, übersetzt von Heinz Abusch, Polnische Bibliothek, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-02682-8

Die Hauptströmungen des Marxismus – Entstehung, Entwicklung, Zerfall

3 Bände, Piper, München 1977–1978, ISBN 978-3-492-02310-8

Die Philosophie des Positivismus

Piper, München 1971, ISBN 978-3492003186

Traktat über die Sterblichkeit der Vernunft. Philosophische Essays

Piper, München 1967

Der Mensch ohne Alternative. Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit, Marxist zu sein

Aus dem Polnischen von Wanda Brońska-Pampuch, aus dem Englischen von Leonard Reinisch, Piper, München 1964, Neuausgabe 1984, ISBN 3-492-00440-7