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Friedenspreis 1991

György Konrád

Der Stiftungsrat hat den ungarischen Schriftsteller György Konrád zum Träger des Preises gewählt. Die Verleihung fand während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 13. Oktober 1991, in der Paulskirche statt. Die Laudatio hielt Jorge Semprún.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1991 György Konrád. Er würdigt mit dieser Auszeichnung Konráds Entwurf eines Mitteleuropa, das als eigenständiger Raum mit jahrhundertealten gemeinsamen Traditionen in Politik und Kultur Bestandteil Gesamteuropas ist.


Konráds Denken und Schreiben zielt auf die Überwindung der aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Teilung Europas. Zugleich richtet er sich gegen die Allmacht des Staates und tritt für das Ethos einer zivilen Gesellschaft ein, die auf den einzelnen, dessen Freiheit und soziale Verpflichtung ausgerichtet ist.

In der Betonung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit Europas von militärischen Großmächten hat Konrád den Weg friedlicher Umgestaltung in Mittel- und Osteuropa vorgedacht und formuliert.

Preisverleihung

György Konrád erhält die Urkunde aus den Händen der Vorsteherin Dorothee Hess-Maier

Reden

Dorothee Hess-Maier
Grußwort der Vorsteherin

Außergewöhnlich bei György Konrád ist meiner Meinung nach seine Art, auf die totalisierende Invasion alles Öffentlichen, auf die drückende Historifizierung des persönlichen Lebensbereiches, die unsere Epoche auf die eine oder andere Art kennzeichnen, zu reagieren.

Jorge Semprún - Laudatio auf György Konrád
Jorge Semprún
Laudatio

Ein jeder trägt Verschiedenes in sich. Notwendigerweise sind die homogenen Identitäten verlogen. Sie leugnen eine menschliche Erfahrung und suggerieren, es sei besser, bestimmte Eigenschaften von uns zu verschweigen. Wo die homogene Identität Mode ist, dort ist die Freiheit keine Mode.

György Konrád - Dankesrede
György Konrád
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1991

+++ Nachdem in Genf Verhandlungen über eine friedliche Lösung der Golfkrise scheitern, beginnt am 17. Januar 1991 eine multinationale Truppe unter Führung der USA mit Luftangriffen auf den Irak. Die irakische Armee setzt daraufhin in Kuwait Ölquellen in Brand. Am 24. Februar starten die Alliierten ihre Bodenoffensive gegen den Irak, der zwei Tage darauf seine Truppen aus Kuwait abzieht. Die Kampfhandlungen werden eingestellt. +++ Erich Honecker wird im März aus dem sowjetischen Militärhospital Beelitz nach Moskau gebracht, um die Vollstreckung eines deutschen Haftbefehls zu verhindern. +++


In Zwickau läuft am 30. April nach fast 35 Jahren der letzte von 3 Millionen »Trabbis« vom Band. +++ Boris Jelzin wird im Juni zum Präsidenten der sowjetischen Teilrepublik Russland gewählt. Im August versuchen reformfeindliche Kräfte in Russland einen Putsch. Jelzin ruft die Bevölkerung zum Widerstand auf, die Putschisten ergeben sich am 21. August. Im Dezember gründen Russland, die Ukraine und Weißrussland die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Staatspräsident Gorbatschow tritt zurück und übergibt Russlands Präsidenten Boris Jelzin das Kommando über die strategischen Atomwaffen. Die Europäische Gemeinschaft und die USA erkennen Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR an. +++ Der Bürgerkrieg zwischen Serben und Kroaten in Jugoslawien geht unvermindert weiter. Im September erklärt die jugoslawische Teilrepublik Mazedonien ihre Unabhängigkeit, Bosnien-Herzegowina, Slowenien und Kroatien folgen. Das nur noch mit Serben besetzte Staatspräsidium ordnet angesichts des Bürgerkriegs die Teilmobilmachung an. +++ Am 20. September kommt es im sächsischen Hoyerswerda zu schweren Ausschreitungen Rechtsradikaler gegen Ausländer und Asylbewerber, in deren Verlauf unter dem Beifall vieler Zuschauer auch ein Wohnheim angegriffen wird. In den folgenden Wochen werden im gesamten Bundesgebiet Anschläge auf Unterkünfte von Asylbewerbern verübt. +++

Biographie György Konrád

Der am 2. April 1933 in Berettyonjfalu bei Debrecen in Ungarn geborene Autor zählt zu den bedeutendsten und einflussreichsten Schriftstellern seines Landes. Der Sohn eines jüdischen Eisenwarenhändlers überlebt die nationalsozialistische Herrschaft unter dem Schutz der Schweizer Gesandtschaft des Roten Kreuzes in Budapest. Nach dem Krieg studiert Konrád Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie.


1969 erscheinen erste Veröffentlichungen, in denen er sich kritisch mit der ungarischen Gesellschaft auseinandersetzt. 1974 wird er verhaftet, wegen internationaler Proteste jedoch wieder freigelassen. 1978 erhält Konrád Publikationsverbot, das erst 1989 aufgehoben wird.

In der Folge hält er sich immer häufiger im westlichen Ausland auf und gerät mit seinen Ideen eines blockfreien Europas und seinen offenen Sympathiebekundungen für die polnische Solidarnoœæ in Ungarn immer stärker unter Druck. Nach Ende des Sozialismus gründet er 1991 die »Demokratische Charta«, um die zögerlichen Demokratiebewegungen zu stärken. 1990 wird György Konrád zum Präsidenten des Internationalen PEN-Clubs gewählt.

Als Essayist begleitet er den Demokratisierungs-Prozess seines Landes und der Staaten des ehemaligen Ostblocks. Auch als Präsident der Berliner Akademie der Künste (1997–2003) nimmt er immer wieder kritisch Stellung zu politischen Themen.

Am 13. September 2019 stirbt Konrád im Alter von 86 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in Budapest.

Auszeichnungen

2014 Buber-Rosenzweig-Medaille
2007 Franz-Werfel-Menschenrechtspreis
2003 Komtur mit Stern des Verdienstordens der Republik Ungarn


2003 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
2001 Internationaler Karlspreis der Stadt Aachen als „Brückenbauer für Gerechtigkeit und Versöhnung in Europa“
1998 Lubiesa-Preis für Dichtung
1991 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1991 Aufnahme in die Akademie der Künste (Berlin)
1990 Manès-Sperber-Preis
1990 Kossuth-Preis
1989 Wilhelm-Heinse-Medaille der Akademie der Wissenschaften und der Literatur
1989 Maecenas-Preis
1986 Preis des skandinavischen Verbandes der Friedensforscher und Südwestfunkpreis der Literaturforscher
1985 Europäischer Essay-Preis der Charles-Veillon-Stiftung
1983 Herder-Preis

Bibliographie

Über Juden. Essays

Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke, Jüdischer Verlag, Berlin 2012, ISBN 9783633542604, Gebunden, 246 Seiten, 21.95 EUR

Heimkehr. Roman

Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019 (dt. Erstausg. 1988), ISBN 978-3-518-24186-8, Taschenbuch, 70 Seiten, 10.00 EUR

Der Besucher. Roman

Mit einem Nachwort von Walter Jens. Aus dem Ungarischen von Mario Szenessy, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 978-3-518-36992-0, Taschenbuch, 209 Seiten 11.00 EUR

Mehr anzeigen

Laudator Jorge Semprún

Jorge Semprún, geboren am 10. Dezember 1923 in Madrid als Sohn eines Juraprofessors, gilt als einer der herausragenden Schriftsteller und Denker.

Seine Familie muss 1936 vor den Truppen Francos aus Spanien nach Frankreich fliehen. Semprún, der an der Pariser Sorbonne Literatur und Philosophie studiert, schließt sich 1941 einer kommunistischen Widerstandsgruppe gegen die deutsche Besatzung an. 1943 wird er von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach der Befreiung kehrt er nach Paris zurück, arbeitet als Übersetzer bei der UNESCO und beteiligt sich am Widerstand gegen das Franco-Regime.


Seit den 60er Jahren rückt das literarische Schaffen in den Mittelpunkt seines Lebens. 1963 erscheint sein erster, autobiographischer Roman Die große Reise, für den er gleich zwei Literaturpreise erhält. Schon in diesem Roman, in dem er den Transport von Gefangenen nach Buchenwald nachzeichnet, ist sein von Rückblenden und assoziativem Erinnern geprägter Stil zu erkennen, der auch in den folgenden Romanen wiederzufinden ist. Mit den Mitteln der Fiktion die Fakten erkennbar zu machen, ist seine von der Kritik hochgelobte literarische Intention.
1988 kehrt Semprún aus dem Pariser Exil nach Madrid zurück und wird überraschend von Felipe González zum Kulturminister ernannt. Er verliert jedoch 1991 sein Amt, nachdem er den Zweiten Golfkrieg als »gerechten Krieg« bezeichnet hat, und konzentriert sich wieder auf das Schreiben. Seine Essaysammlung Blick auf Deutschland (2003), in der auch die Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus abgedruckt ist, findet weithin Beachtung.

Jorge Semprún stirbt am 7. Juni 2011 im Alter von 87 Jahren in Paris.