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"Ohne Menschen sind Computer Raumwärmer, die Muster erzeugen"

Jaron Lanier, Friedenspreisträger von 2014, feiert am 3. Mai 2025 seinen 65. Geburtstag. Um die Leistung des Internetpioniers angemessen zu würdigen, setzt Gratulant Martin Schult auch Künstliche Intelligenz ein. Nur: Knapp daneben ist auch vorbei.

Wir leben in einer verwirrenden Zeit. In der entwickelten Welt haben wir so lange Überfluss genossen, dass wir ihn kaum noch zu schätzen wissen. Wir lieben besonders unsere Gadgets, denen wir immer noch Neues abgewinnen können, aber vieles deutet darauf hin, dass wir, wenn wir die Augen weiter öffnen würden, über den Rand eines Abgrunds blickten.

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Damit bei der Friedenspreisverleihung möglichst alles rund läuft, ist ein persönliches Vorabtreffen mit dem Preisträger oder der Preisträgerin von großem Vorteil. So war ich vergangenes Jahr im polnischen Norden, um Anne Applebaum kennenzulernen, Boualem Sansal hat mir 2011 ein damals schon leichenblasses Algier gezeigt, mit Serhij Zhadan habe ich mich 2022 in Kiew (mehr dazu hier: "Zwei Männer aus Charkiw") getroffen. Dabei geht es nicht nur um organisatorische Details, die besprochen werden müssen, sondern vor allem auch um ein Kennenlernen. Wir müssen Vertrauen aufbauen, denn für eine kurze, aber intensive Zeit sind wir ein Team, das sich aufeinander verlassen muss. 

2014 führte mich der Weg ins kalifornische Berkeley. Jaron Lanier, angestellt bei Microsoft und Dozent an der dortigen Universität, war überrascht, als ich darum bat, ihn besuchen zu dürfen. Noch mehr verwundert war er aber darüber, dass ich mich entschieden hatte, die drei Kilometer von meinem Hotel zu seinem Haus zu Fuß zu gehen. Ich hatte nicht daran gedacht, dass Google Maps keine Höhenmeter anzeigt. Es war ein warmer Tag, an dem ich irgendwo auf der steilen Straße meine Jacke verlor …

Ein Buch mit sieben Siegeln

So würde ich normalerweise einen Geburtstagsartikel beginnen: einen persönlichen Bezug zu dem Preisträger herstellen und in die Würdigung seiner Leistung, für den er den Friedenspreis erhalten hat, Ausschnitte aus seiner Rede einfügen. Anschließend würde ich den Text noch mit ein paar netten Anekdoten würzen – bei Jaron Lanier zum Beispiel die für mich rätselhafte Geschichte über einen Dave Smith, der Ende der 1970er Jahre an einer Übersetzung von Musik in ein digitales Format gearbeitet hat.

Während ich an seinem Küchentisch saß und dankbar ein riesiges Glas Wasser mit einer Menge Eiswürfel in der Hand hielt, erzählte Jaron Lanier mir von dem Tag, an dem Dave [Smith] seine Kollegen fragte, ob es nicht doch besser wäre, ein Verfahren zu entwickeln, das Musik nicht in Bytes, sondern in elektronische Wellen umwandelt. Denn das midi-Format, so Jaron Lanier, täusche nur eine Welle vor, die aus vielen kleinen Punkten besteht, aber nie zu hundert Prozent der echten Musik entspricht.

»Bill [Gates] war für die Welle«, erzählte er mir, »aber Paul [Allen] meinte, dass es zu lange dauern würde, bis man ihre Rechner damit ausstatten könnte. Und deswegen hören wir bis heute aus allen digitalen Geräten – Weckern, Handys, Laptops und so weiter – nur minderwertige Musik.«

Musical Instrument Digital Interface, kurz midi, nennt man das Verfahren. Ich hoffe, ich habe es halbwegs gut erklärt, denn ich habe es weder damals an seinem Küchentisch richtig verstanden, noch verstehe ich es heute. Diese Welt, in der sich Jaron Lanier wie selbstverständlich bewegt und über Menschen, die heute zu den Reichen der Welt gehören, nur mit Vornamen redet, ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich kann die Gadgets anwenden, die aus ihrer Arbeit entstanden sind – Schreibprogramme, Bildbearbeitung, ein bisschen HTML, Internet und Social Media-Netzwerke – aber mehr?

Einst träumten Wissenschaftler davon, Maschinen mit magischen Formeln zum Leben zu erwecken, sodass sie autark würden. Später sollten Algorithmen künstlicher Intelligenz Bücher schreiben, Treibstoffe abbauen, technische Geräte herstellen, Kranke pflegen und Lastwagen fahren. Auch wenn diese Entwicklung zu hoher Arbeitslosigkeit führen würde, würde sich die Gesellschaft allmählich anpassen, vielleicht mit einer Wende zum Sozialismus oder zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Hallo Chatbot!

Seit einigen Jahren gibt es mit Chatbot ein neues Gadget, das aus der gesamten digitalen Welt Informationen herausfiltert und diese durch ChatGPT-Gratisversionen auch einem normalen Bürger wie mir zur Verfügung stellt. Ob mir das helfen kann, die sieben Siegel in Jaron Laniers Welt aufzubrechen, um ihn angemessen zu würdigen? Dadurch könnte ich diesen Artikel vielleicht mit Wissen anreichern, das ich selbst nicht besitze. Ich bin gespannt, wie dieses Gadget ihn beschreibt …

»Hallo Mensch, ich bin ein KI-Chatbot, Modell GPT-4.1 nano«, stellt sich mir das Gadget vor.

»Hallo Chatbot«, tippe ich in die Tastatur. »Schreibe mir bitte einen Geburtstagsartikel über Jaron Lanier, der am 3. Mai 65 Jahre alt wird.«

»Natürlich!«, antwortet der Chatbot. »Hier ist eine Geburtstagskarte für Jaron Lanier.«

Lieber Jaron Lanier,

herzlichen Glückwunsch zum 65. Geburtstag! Heute feiern wir nicht nur dein Lebensjahr, sondern auch all die inspirierenden Beiträge, die du in der Welt der Technologie und der digitalen Kultur geleistet hast. Deine innovativen Ideen und dein Engagement haben viele Menschen beeinflusst und zum Nachdenken angeregt. Möge dein besonderer Tag voller Freude, Liebe und unvergesslicher Momente sein. Wir wünschen dir Gesundheit, Glück und weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg!

Alles Liebe und die besten Wünsche,    
[Dein Name]

»Wenn du möchtest, kann ich die Karte noch persönlicher gestalten!«, fügt er hinzu.

»Nein danke.« Der Chatbot hat mich falsch verstanden. Eine Glückwunschkarte zu schreiben, das hätte ich auch ohne ihn geschafft. Und was soll das Ausrufezeichen? Ist es als Aufforderung gemeint oder schlicht Eigenlob? Wahrscheinlich muss ich präziser werden. »Ich brauche keine Glückwunschkarte. Schreibe mir lieber einen Artikel über Jaron Lanier. Beziehe bitte die Friedenspreisverleihung 2014 mit ein und vertiefe den Aspekt des digitalen Humanismus.«

»Natürlich!«, erscheint es kurz darauf auf meinem Bildschirm. »Hier ist ein informativer Artikel über Jaron Lanier, in dem die Friedenspreisverleihung 2014 einbezogen ist und der Aspekt des digitalen Humanismus vertieft wird.«

Ich fange zu lesen an …

Jaron Lanier – Ein Pionier der digitalen Welt, Friedenspreisträger 2014 und Verfechter des digitalen Humanismus

Jaron Lanier, geboren am 3. Mai 1955, ist ein bedeutender amerikanischer Informatiker, Philosoph, Musiker und Schriftsteller. Er gilt als einer der Wegbereiter der virtuellen Realität und hat maßgeblich dazu beigetragen, die Art und Weise zu prägen, wie wir heute digitale Technologien nutzen.

Ich bin beeindruckt. Auf den ersten Blick ist diese Einführung zitierfähig. So etwas in der Art würde ich auch sagen, wenn mich jemand nach Jaron Lanier fragt. Der Begriff Philosoph ist schließlich nicht geschützt, und wahrscheinlich würde es ihn freuen, so bezeichnet zu werden. Falsch – was ich fast übersehen hätte – ist aber sein Geburtsdatum. Ich kenne niemanden, der glücklich wäre, fünf Jahre älter gemacht zu werden …

Frühe Jahre und Karriere

Lanier studierte an der University of California, Berkeley, und entwickelte schon früh ein Interesse an Computern und Musik. Seine vielseitigen Talente führten ihn dazu, innovative Projekte im Bereich der virtuellen Realität zu entwickeln. In den 1980er Jahren war er einer der ersten, der die Möglichkeiten immersiver computergenerierter Welten erkannte und erforschte.

Auch das ist ein bisschen schräg. Jaron Lanier hat nie an der Universität von Berkeley studiert, er hat vielmehr dort gelehrt. Vielleicht hätte ich den Chatbot auch expliziter nach seiner Kindheit und seinen Eltern fragen sollen, denn beides ist – wie wahrscheinlich bei jedem Menschen – entscheidend für seine Entwicklung und muss hier erwähnt werden:

Nachdem sie den Holocaust überlebt hatte, emigrierte Jaron Laniers Mutter Lillian (Pianistin, Malerin und Tänzerin) als Fünfzehnjährige von Wien nach New York. Sein Vater Ellery, Sohn ukrainischer Juden, die vor den dortigen Pogromen geflüchtet waren, arbeitete als Architekt, Maler, Schriftsteller, Grundschullehrer und Radiomoderator. Beide erlebten in New York aufgrund ihres Nachnamens Zepel antisemitische Anfeindungen, woraufhin sie nach der Geburt ihres Sohnes am 3. Mai 1960 entschieden, einen neuen Namen anzunehmen und in die Nähe von El Paso, Texas zu ziehen. Der amerikanische Dichter und Musiker Sidney Lanier diente dabei als Namenspate.

Jaron Lanier hatte eine bewegte Kindheit, die von der Begeisterung für Musik geprägt war, in der der Unfalltod der Mutter aber einen traurigen Höhepunkt darstellte. Jahrelang lebte er mit der kindlichen Vorstellung, Mitschuld an ihrem Tod zu haben, bis er irgendwann erfuhr, dass es bei dieser Automarke häufig zu technischem Versagen kam.

In Mesilla, New Mexico, wohin der Vater mit seinem Sohn auf ein leeres Stück Wüste zog, um dort ein Haus zu bauen, ging Jaron auf die Schule, brach sie aber nach einem Jahr ab, weil er noch immer unter dem Tod der Mutter litt und sich schwertat, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Auf Anregung eines Nachbarn, dem Wissenschaftler Clyde Tombaugh (der 1930 den Planeten Pluto entdeckt hatte), besuchte er die New Mexico State University, an der er als Vierzehnjähriger Mathematik- und Chemie-Seminare belegte und so erste wichtige Einsichten in die Computertechnologie nehmen konnte.

Jetzt aber wieder zurück zu Chatbots Text …

Virtuelle Realität und technologische Innovationen

Jaron Lanier ist bekannt für seine Arbeit an der Entwicklung der virtuellen Realität. Er prägte Begriffe wie »Virtual Reality« und setzte sich dafür ein, diese Technologie für Bildung, Kunst und Wissenschaft nutzbar zu machen. Seine Vision war stets, die menschliche Erfahrung durch Technologie zu bereichern und zu erweitern.

Wahrscheinlich bin ich zu kritisch, denn schon wieder habe ich das Gefühl, eingreifen zu müssen. Eigentlich ist nichts falsch an dem, was der Chatbot geschrieben hat. Aber irgendwie stimmt die Perspektive nicht, denn trotzdem Jaron Lanier zu denen gehört, die die digitale Welt entscheidend mitprägen (Präsens, weil er es immer noch tut!), warnt er gleichzeitig auf vielen Ebenen vor Fehlentwicklungen. In seinen Büchern »Gadget. Warum die Zukunft uns braucht« (Suhrkamp 2010, übersetzt von Michael Bischoff) und »Wem gehört die Zukunft?« (Hoffmann & Campe 2014, übersetzt von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer) plädiert er sogar für eine Rückbesinnung auf die menschlichen Werte und die Schaffung von Systemen, die den Menschen – und nicht die Maschine – in den Mittelpunkt stellen …

Wenn es eines gibt, das mich am Internet ängstigt, dann dies: Es ist ein Medium, das Flashmobs auslösen kann und regelmäßig schlagartig virale Trends schafft. Zwar haben diese Effekte bisher noch keinen größeren Schaden angerichtet, aber was haben wir im Gegenzug, um sie zu verhindern? Wenn Generationen heranwachsen, die sich großenteils über globale korporative Cyber-Strukturen wie geschützte soziale Netzwerke organisieren und austauschen, woher wissen wir, wer die Kontrolle über diese Strukturen erbt?

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Weiter geht's mit dem KI-Text

Gesellschaftliche Kritik, Friedenspreis 2014 und der digitale Humanismus

Neben seiner technischen Arbeit ist Lanier auch als Schriftsteller aktiv. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, in denen er die gesellschaftlichen Auswirkungen des Internets kritisch analysiert. Besonders bekannt ist sein Buch »Die Zukunft des Menschen«, in dem er vor den Gefahren der digitalen Massenüberwachung und der Entfremdung warnt.

Im Jahr 2014 wurde Jaron Lanier für sein Engagement und seine kritische Haltung gegenüber den negativen Folgen des Internets mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Jury würdigte ihn für seine Bemühungen, die Gesellschaft für die Risiken der digitalen Revolution zu sensibilisieren und für einen verantwortungsvollen Umgang mit Technologie einzutreten. Die Auszeichnung unterstrich die Bedeutung seiner Arbeit für den gesellschaftlichen Diskurs und seine Rolle als Brückenbauer zwischen Technik und Menschlichkeit.

Oha! »Die Zukunft des Menschen« ist das Hauptwerk des Philosophen Jaron Lanier – manche nennen es sogar sein Opus Magnum. Es ist eine wissenschaftlich fundierte Ergänzung zu »1984« von George Orwell, aber mit dem Unterschied, dass der Autor in diesem wegweisenden Werk sogar Lösungswege anbietet: Macht euch die virtuelle Welt Untertan!

Nur leider hat Jaron Lanier dieses Buch nie geschrieben. Wie kommt der Chatbot darauf, so etwas zu behaupten? Auch die Begründung der Jury hat er gehörig geschliffen, wie ein Ausschnitt aus ihr zeigt: »Eindringlich weist Jaron Lanier auf die Gefahren hin, die unserer offenen Gesellschaft drohen, wenn ihr die Macht der Gestaltung entzogen wird und wenn Menschen, trotz eines Gewinns an Vielfalt und Freiheit, auf digitale Kategorien reduziert werden.«

Vielleicht wäre es besser gewesen, den Chatbot um einen guten und faktenbasierten Artikel über Jaron Lanier zu bitten? Doch woher hätte ich wissen können, dass er das nicht automatisch macht? 

Manchmal frage ich mich, ob wir unsere Demokratien an Technologie-Firmen outgesourct haben, damit wir nicht selbst zur Rechenschaft gezogen werden können. Wir geben unsere Macht und unsere Verantwortung einfach ab.

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Der digitale Humanismus

Ein zentraler Aspekt in Lanier’s [sic!] Denken ist der sogenannte digitale Humanismus. Damit meint er eine Haltung, die den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt der digitalen Entwicklung stellt. Lanier warnt vor einer rein datengetriebenen Gesellschaft, in der menschliche Werte wie Kreativität, Individualität und Freiheit durch algorithmische Prozesse verdrängt werden könnten.

Er fordert, dass Technologie dazu dienen sollte, die menschliche Erfahrung zu bereichern, anstatt sie zu reduzieren. Der digitale Humanismus betont die Bedeutung von persönlicher Kreativität, kultureller Vielfalt und ethischer Verantwortung im Umgang mit digitalen Medien. Lanier sieht in einer bewussten Gestaltung der digitalen Zukunft eine Chance, die Gesellschaft humaner, gerechter und freier zu machen.

Das, muss ich zugeben, ist wunderbar formuliert. Ich hätte vielleicht noch ergänzt, dass Jaron Laniers Großvater ein Freund von Martin Buber gewesen ist. Darüber sprachen wir damals auch am Küchentisch, als ich ihm vorgeschlagen hatte, in seiner Friedenspreisrede seinen digitalen Humanismus mit dem religiösen Humanismus Martin Bubers zu vergleichen – was in der Frankfurter Paulskirche doch eine wunderschöne Brücke von 1953 zu heute wäre.

So erfuhr ich von seinem Großvater, der zu einer anderen Zeit an einem anderen Küchentisch mit Martin [Buber] zusammengesessen hat, um darüber zu reden, was Augenhöhe bedeutet, mit der man einander begegnen müsse, um wirklich etwas gemeinsam verabreden zu können.

Für Jaron Lanier, und das unterscheidet ihn vom Friedenspreisträger von 1953, geht ein digitaler Humanismus aber durchaus auch mit ökonomischer Teilhabe einher. Die Open-Source-Bewegung vermindere die Möglichkeiten für die Mittelschicht, die Erzeugung von Inhalten zu finanzieren. In anderen Kontexten fordert er die Einführung von Bezahlsystemen, wenn Tech-Unternehmen an den Daten jedes Einzelnen enorm viel Geld verdienen, ohne diese daran wiederum partizipieren zu lassen.

Am wichtigsten war ihm bei dieser Thematik aber die Erkenntnis, dass gesammeltes Wissen nicht zu neuem Wissen führe. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass eine kollektive Intelligenz Ideen hervorbringen könne, die besser als die eines Individuums seien …

Um scheinbar automatische Übersetzungsprogramme zu erschaffen, muss täglich die Arbeit von Millionen von echten Übersetzern gescannt werden […]. In der Regel verschleiert jede scheinbare Automatisierung die Entrechtung der Menschen, die hinter dem Vorhang die Arbeit leisten.

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Musikalisches Schaffen

Neben seiner technischen und philosophischen Arbeit ist Lanier auch ein talentierter Musiker. Er hat mehrere Alben veröffentlicht und sieht die Musik als eine wichtige Ausdrucksform, die eng mit seiner Vision von einer menschlicheren Technologie verbunden ist.

Nachdem wir die Details für seine Reise nach Frankfurt zur Preisverleihung besprochen hatten, standen wir vom Küchentisch auf, weil Jaron mir noch etwas zeigen wollte. Er führte mich in ein riesiges Wohnzimmer, in dem mehr als tausend seltene Musikinstrumente aus aller Welt untergebracht waren, die er alle spielen konnte – und die er zum Teil auch auf Konzerten und bei Plattenproduktionen mit Musikgrößen wie Philip Glass, Yoko Ono, Sean Lennon, Ornette Coleman, George Clinton und zahlreichen weiteren Musiker:innen einsetzt.

Doch nicht nur in Bezug auf Musik ist Lanier künstlerisch tätig: Seine Gemälde, Zeichnungen und Kunstinstallationen werden in zahlreichen Museen und Galerien in den USA und Europa gezeigt. Die erste Einzelausstellung hatte er im Jahr 1997 im Museum für Moderne Kunst im dänischen Roskilde.

»Das ist der andere Jaron«, sagte er zu mir. »Ich bin von der Technik begeistert, die in diesen Instrumenten steckt.« Über die etwas verkürzte Darstellung in Chatbots Artikel würde er wahrscheinlich verärgert den Kopf schütteln.

Kommen wir zum Schluss …  

Vermächtnis und Einfluss

Jaron Lanier bleibt eine inspirierende Figur, die stets versucht, die Balance zwischen technologischem Fortschritt und menschlichen Werten zu finden. Seine Arbeit hat nicht nur die Entwicklung der virtuellen Realität beeinflusst, sondern auch wichtige Impulse für eine ethisch verantwortliche Nutzung digitaler Technologien gegeben. Die Auszeichnung mit dem Friedenspreis 2014 unterstreicht seinen Beitrag zu einer bewussteren und humaneren Gestaltung der digitalen Zukunft.

»Wenn du weitere Fragen hast«, fügt Chatbot hinzu, »oder mehr Informationen benötigst, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung. Viel Spaß beim Lesen!«

»Danke«, antworte ich ihm und kopiere den Artikel. Natürlich könnte ich nachhaken und Chatbot auf seine Fehler hinweisen. Mit Sicherheit würde er sich korrigieren. Du hast recht, ich habe mich geirrt, Jaron Lanier kam im Jahr 1960 zur Welt, und nicht 1955. Und er würde auch zugeben, dass Jaron nie ein Buch mit dem Titel »Die Zukunft der Menschen« geschrieben hat.

Aber ich tue es nicht, denn das ist nicht das Entscheidende. Aus irgendeinem Grund nähert sich – zumindest bei diesem Beispiel – die KI nur der Wahrheit an, aber was sie generiert, ist nicht die Wahrheit. Vielleicht ist es wie bei digitalisierter Musik, die keine richtige Welle ist, sondern nur eine gepunktete Linie, die so aussieht wie eine Linie.

Sobald dieser Text auf der Webseite des Börsenblatts steht, wird auch er als Quelle für weitere generierte Artikel über Jaron Lanier dienen, denn ChatGPT wird sich bei ihm bedienen. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mein Chatbot seine Fehler wiederholt, bis sie, sofern sie niemand korrigiert, zur neuen Wahrheit werden. Knapp daneben ist aber leider auch vorbei. Die generische Sprache meines Chatbots und die unterdurchschnittliche Qualität seines Outputs passen zu Jaron Laniers Äußerungen, dass Schwarmintelligenz nur ein Kompromiss ist, in diesem Fall sogar ein schlechter.

In der Vergangenheit kämpften wir, um Bücher vor den Flammen zu retten, doch heute gehen Bücher [i.e. E-Books] mit der Pflicht einher, Zeugnis über unser Leseverhalten abzulegen, und zwar einem undurchsichtigen Netzwerk von Hightech-Büros, von denen wir analysiert und manipuliert werden. Was ist besser für ein Buch: ein Spionagegerät zu sein oder Asche?

Jaron Lanier in seiner Dankesrede 2014

Am Ende des Lateins

Ist diese Mischung aus generiertem und eigenem Wissen alles, was ich über Jaron Lanier berichten möchte? Nein, ich füge eine Anekdote an, von der ich denke, dass sie ihn und seine Persönlichkeit noch ein wenig besser beschreibt. Sie betrifft seine Friedenspreisrede, von der ich ein paar Wochen vor der Verleihung eine erste Version erhielt.

Sie las sich gut, wie eine Handlungsanweisung, wie man sich souverän in der digitalen Welt verhält. Ich schlug ihm vor, auch noch etwas über den Frieden zu schreiben, was mir bei einem Preis dieser Art sinnvoll erschien. Ein paar Tage später erhielt ich eine neue Version.

Ich machte weitere Vorschläge – schreibe doch ein bisschen mehr über den digitalen Humanismus, erwähne deine Vorfahren usw. – und erhielt jedes Mal eine neue Version. Am Ende hatte ich sechs unterschiedliche Texte und einen ziemlich erschöpften Preisträger. Wie bei einem fehlerhaften Script für ein Computerprogramm hatte er die Versionen nicht einfach nur korrigiert, sondern immer wieder von vorne angefangen.

»Ehrlich gesagt, bin ich jetzt am Ende meines Lateins«, schrieb er mir bei der sechsten Version, die nun aber viel zu lang war. Ich bat ihn darum, noch etwas zu kürzen, was ich besser nicht hätte tun sollen.

»Oh Mist, bin gerade noch einmal über die Rede gegangen, um Absätze zu streichen und sie klarer zu machen. Doch jetzt ist sie nicht kürzer, sondern noch länger geworden …« Wir entschieden, die Rede so zu lassen, wie sie nun war. Sie ist noch immer – elf Jahre später – höchst aktuell, wie man auch an den in diesen Text eingebauten Zitaten sieht.

»Künstler, die vom Urheberrecht profitierten, werden im neuen System ihr Recht verlieren«, schreibt er an einer Stelle fast visionär, wie die augenblickliche Diskussion über die Ausbeutung von urheberrechtlich geschützten Werken durch KI- Unternehmen zeigt. Wie auch mir für diesen Artikel stellen Chatbots jedem und jeder ein Wissen zur Verfügung, das sie nicht selbst generieren, sondern den eigentlichen Urheber:innen geradezu gestohlen haben. Das ist so brisant geworden, dass Kunstschaffende beginnen, sich politisch zu organisieren – wie kürzlich in dem Bündnis »Creators for Europe United«.

Auch die Frage, wem soziale Netzwerke gehören, wird spätestens seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk mit Sorge betrachtet. Was in der Paulskirche und vor den Fernsehern 2014 vielleicht noch futuristisch anmutete, ist mittlerweile in fast allen Bereichen unseres öffentlichen und privaten Lebens angekommen.

… meine Jacke wurde übrigens gefunden – von Lilibell, Jarons Tochter. Als er sie am Nachmittag nach meinem Besuch zum Reiten gefahren hat, rief sie plötzlich aus, dass er anhalten solle. Sie machten einen Umweg zu meinem Hotel. Lilibell war mächtig stolz, als sie sie mir überreichte.

   Happy Birthday, lieber Jaron! Ich bin froh, dass ich dich kennenlernen durfte. »Möge dein besonderer Tag voller Freude, Liebe und unvergesslicher Momente sein. Wir wünschen dir Gesundheit, Glück und weiterhin viel Erfolg auf deinem Weg!«, würde mein Chatbot noch hinzufügen!

Mehr über den Preisträger