Suche
Zur Übersicht

Karl Schlögel erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2025

© Peter-Andreas Hassiepen

Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den deutschen Historiker und Essayisten Karl Schlögel zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt.

In der Begründung des Stiftungsrats, dessen Vorsitzende Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs ist, heißt es: 

„In seinem Werk verbindet Karl Schlögel empirische Geschichtsschreibung mit persönlichen Erfahrungen. Als Wissenschaftler und Flaneur, als Archäologe der Moderne, als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen hat er schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs Städte und Landschaften Mittel- und Osteuropas erkundet. Er hat Kyjiw und Odessa, Lwiw und Charkiw auf die Landkarten seiner Leserinnen und Leser gesetzt und St. Petersburg oder Moskau als europäische Metropolen beschrieben. Mit seiner Erzählweise, die Beobachten, Empfinden und Verstehen verbindet, korrigiert er Vorurteile und weckt Neugier. Nach der Annexion der Krim durch Russland hat Karl Schlögel seinen und unseren Blick auf die Ukraine geschärft und sich aufrichtig mit den blinden Flecken der deutschen Wahrnehmung auseinandergesetzt. Als einer der Ersten hat er vor der aggressiven Expansionspolitik Wladimir Putins und seinem autoritär-nationalistischen Machtanspruch gewarnt. Eindrücklich beschreibt er die Ukraine als Teil Europas und fordert auf, das Land um unserer gemeinsamen Zukunft willen zu verteidigen. Seine Mahnung an uns: Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben.“

Karl Schlögel gilt als einer der profiliertesten Kenner Osteuropas. In seinen Arbeiten verbindet er detailreiche Alltagsbeobachtungen mit einer raumbezogenen Geschichtsschreibung, um die Kultur- und Zeitgeschichte Russlands und Osteuropas neu zu erzählen. Mit Werken wie „Terror und Traum“ oder „Das sowjetische Jahrhundert“ hat er Maßstäbe für eine anschauliche, lebendige Geschichtsschreibung gesetzt. Er wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Gerda-Henkel-Preis 2024.

Karl Schlögel wurde am 7. März 1948 in Hawangen im bayerischen Allgäu geboren. 1966 reiste er erstmals in die Sowjetunion, 1968 erlebte er den Prager Frühling persönlich. Nach einem Studium der osteuropäischen Geschichte, Philosophie, Soziologie und Slawistik an der Freien Universität Berlin promovierte er dort 1981 mit einer Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion. 

Die Auseinandersetzung mit dem Alltag in Russland und in der Sowjetunion bildet von Beginn an einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Aufenthalte in Moskau (1982/83) und Leningrad (1987) prägten seine Forschung und die daraus entstehenden Publikationen. Bereits in „Moskau lesen“ (1984) wurde seine ungewöhnliche Herangehensweise, eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen in seine Schriften einzubauen, deutlich. Im Rahmen seiner Forschung befasst er sich unter anderem mit den Spuren deutscher Geschichte im osteuropäischen Raum sowie Flucht- und Wanderbewegungen in diesem Gebiet. Er hob dabei früher als andere hervor, dass Osteuropa zum kulturellen Bestand Gesamteuropas gehört.

Für sein Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ (2008), in dem er die Gleichzeitigkeit von Utopie und Gewalt in der Stalinzeit thematisiert, wurde ihm 2009 der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution erschien 2017 sein monumentales Werk „Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt“. Das Werk erhält den Preis der Leipziger Buchmesse. In „Der Duft der Imperien“ (2020) wählte Schlögel eine literarische und originelle Form: Ausgehend von einem Parfüm, das im Osten als „Rotes Moskau“ und im Westen als „Chanel N°5“ berühmt wurde, erzählt er eine olfaktorische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Von sowjetisch-amerikanischen Affinitäten und Differenzen handelt Schlögels letztes Buch „American Matrix“ (2023). 

Die politischen Umbrüche im postsowjetischen Raum begleitet Schlögel auch als öffentlicher Intellektueller. 2014 reiste er in die Ukraine, um sich selbst ein Bild vom Konflikt nach der Besetzung der Krim zu machen. Seit Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 wendet sich Schlögel gegen dessen geschichtspolitische Begründung. Seitdem profiliert er sich als streitbarer Kritiker Putins und als Stimme für eine souveräne Ukraine.

Karl Schlögel war bereits zweimal Laudator beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: 2009 hielt er die Laudatio auf Claudio Magris, 2013 auf Swetlana Alexijewitsch. Von 2011 bis 2017 war er Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises.

Dem Stiftungsrat gehören aktuell an: Klaus Brinkbäumer, Dr. Peter Frey, Prof. Dr. Raphael Gross, Prof. Dr. Moritz Helmstaedter, Jo Lendle, Jagoda Marinić, Prof. Dr. Ethel Matala de Mazza, Christiane Schulz-Rother sowie Karin Schmidt-Friderichs.

Die Verleihung des Friedenspreises findet am Sonntag, 19. Oktober 2025, in der Frankfurter Paulskirche statt und wird live um 11:00 Uhr im ZDF übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.