Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den Schrifsteller Reinhold Schneider zum Träger des Friedenspreises 1956. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 23. September 1956, in der Paulskirche in Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Werner Bergengruen.
Begründung der Jury
Reinhold Schneider,
dem Dichter und Gelehrten, Künder und Mahner, der in seiner Deutung abendländischer Geschichte und Schicksale um eine neue sittliche Ordnung der Welt ringt und im Leben des Einzelnen wie dem der Völker aus seiner christlichen Haltung das Gewissen anruft,
verleiht der Buchhandel in Deutschland für das Beispiel seines Lebens und seines Werkes den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Chronik des Jahres 1956
+++ Die Volkskammer der DDR beschließt Anfang des Jahres 1956 die Schaffung der Nationalen Volksarmee. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU enthüllt Parteichef Chruschtschow die von Josef W. Stalin begangenen Verbrechen. Walter Ulbricht erklärt im März, »Stalin ist kein Klassiker des Marxismus«. +++ Vertreter der USA und der Bundesrepublik unterzeichnen am 18. Februar ein Abkommen über die friedliche Nutzung der Atomenergie. +++ Im April nimmt der Bundesnachrichtendienst (BND) offiziell seine Tätigkeit auf. +++ Am 7. Juli verabschiedet der Bundestag das Wehrpflichtgesetz. Damit wird die künftige Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee. Außerdem wird ein ziviler Ersatzdienst für Kriegsdienstverweigerer eingerichtet. +++ Ein Arbeiteraufstand in der polnischen Stadt Posen wird Ende Juni durch Armee Einheiten niedergeschlagen. Nach offiziellen Angaben kommen dabei 53 Menschen ums Leben, rund 300 werden verletzt. +++ Mit einer Studentendemonstration beginnt im Oktober der Volksaufstand in Ungarn. Als sich auch die Arbeiter dem Protest anschließen, greift, wie drei Jahre zuvor in Ost-Berlin, die Sowjetarmee ein. Anfang November wird der »Ungarische Volksaufstand« durch ihre Truppen und Panzer blutig niedergeschlagen. Hunderte von Ungarn werden hingerichtet, viele Tausende verhaftet, und fast 200 000 Menschen fliehen in den Westen. +++ Israelische Streitkräfte greifen Ende Oktober Ägypten an und besetzen innerhalb kürzester Zeit die gesamte Sinai-Halbinsel. Sie reagieren damit auf die ägyptische Verstaatlichung des Suezkanals. Auf Druck der USA und der UdSSR wird der Konflikt im November beigelegt. +++
Biographie Reinhold Schneider
Nach dem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung wagt es der am 13. Mai 1903 in Baden-Baden als Sohn eines Hoteliers geborene Reinhold Schneider 1928, freier Schriftsteller zu werden.
Seine geschichtsphilosophischen Werke, zum Beispiel über den spanischen König Philipp ii., die Hohenzollern, das britische Inselreich und Kaiser Lothar, umkreisen das Verhältnis von Religion und Macht, von Geschichte und menschlicher Existenz, das sich Schneider nicht anders als tragisch vorzustellen vermag.
Die während des Zweiten Weltkrieges verfassten Widerstandsschriften (Essays, Betrachtungen, Gedichte) werden teilweise auf illegalem Wege veröffentlicht, abgeschrieben, vervielfältigt und von Hand zu Hand gereicht. Sein Buch Las Casas vor Karl v. (1938) gilt bis heute als ein mutiger und öffentlicher Protest gegen die nationalsozialistische Verfolgung der Juden. Als Schneider im Jahr 1945 wegen Hochverrats und »Defätismus« angeklagt wird, bewahren ihn das Ende des Krieges und der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes vor einer Verurteilung.
In der Zeit des Kalten Krieges bringt ihn sein in Ost und West ansetzendes radikalpazifistisches Engagement in Konflikt mit tonangebenden politischen Kreisen in der Bundesrepublik. 1954 gibt er zusammen mit Helmut Gollwitzer und Käthe Kuhn Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstands 1933–45 unter dem Titel "Du hast mich heimgesucht bei Nacht" heraus.
Reinhold Schneider stirbt am 6. April 1958 im Alter von 54 Jahren.
Aus der Friedenspreisrede
»Kein Schriftsteller, der seine Sache ernst nimmt, wird sich einbilden, daß er Staaten und Völkern etwas vorschreiben kann. Auch weiß er wohl, daß für die Lenker der Staaten und Völker Gesetze gelten, von denen er frei ist: er nun wirklich, in seiner geistigen Entscheidung, nicht in seiner Beziehung zur Öffentlichkeit, eine einigermaßen freie Existenz.
Als solcher kann, möchte er nur, aus der ganzen Kraft seines Herzens ein Zeichen sein, und zwar der Liebe: gegen alle Wahrscheinlichkeit muß an der Stelle, wo wir angelangt sind, eine Hoffnung sich erheben, ein Bemühen entfacht werden, die den heute gedachten, vollzogenen Gedanken des Todes entgegen sind.
Alle Katastrophen der Geschichte haben sich im Geistigen und Sittlichen ereignet, ehe sie sich in materiellen Machtkämpfen dargestellt haben. Sie sind also angewiesen auf ein bestimmtes Klima des Denkens, Glaubens, Wünschens; wo sie dieses nicht spüren, brechen sie nicht vor. Um dieses Klima geht es in dieser Stunde unheimlichen Waffenstillstandes. Wir sollten der drohenden Katastrophe dieses Klima verweigern. Wer seiner Sache sicher ist, kann opfern, ausharren, hoffen. Geschichtliche Berufungen, Legitimationen wechseln, zerfallen, wenn ihr Ziel erreicht ist; nicht das Sittliche, das personaler Freiheit anvertraut ist.
Es könnte eine Gnade sein, daß uns Deutschen, uns allein, die nationale Geschichte in Scherben vor den Füßen liegt: vielleicht sollen wir anfangen in der Richtung auf einen neuen Gedanken, in der Richtung auf das Leben der Welt.«
Laudator Werner Bergengruen
Bibliographie
"Das Leiden des Camöes oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht" (1930)
"Portugal, Ein Reisetagebuch" (1931, Neuausgabe 1948)
"Philipp II." (1931)
"Die Hohenzollern" (1933)
"Das Inselreich, Gesetz und Grösse der britischen Macht" (1936)
"Las Casas vor Karl V., Szene aus der Konquistadorenzeit" (1938)
"Auf Wegen deutscher Geschichte" (1939)
"Das Erbe im Feuer" (1939)
"Theresia von Spanien" (1939)
"Macht u. Gnade" (1940)
"Das Vaterunser, Nach dem Grossen Krieg" (1941)
"Die dunkle Nacht" (1941)
"Der Abschied von Frau Chantal" (1942)
"Der Überwinder" (1942)
"Der Dichter vor der Geschichte" (1943)
"Von der Würde des Menschen" (Essays 1945)
"Kleists Ende" (1946)
"Die neue Ehre" (1946),
"Die Heimkehr des deutschen Geistes" (1946)
"Fausts Rettung" (1946)
"Die neuen Türme" (1946)
"Herz am Erdsaume" (1947)
"Macht und Gewissen in Shakespeares Tragödie" (1947)
"Der Mensch und das Leid in der griechischen Tragödie" (1947)
"Erworbenes Erbe. Zum Gedächtnis der Droste" (1948)
"Worte der Besinnung. Aus dem Werk" (1948)
"Schwermut u. Zuversicht" (1948)
"Aar mit gebrochener Schwinge" (1948)
"Der Kronprinz" (1948)
"Belsazar" (1949)
"Spiel vom Menschen" (1949)
"Der grosse Verzicht" (1950)