Der Stiftungsrat des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den mexikanischen Schriftsteller und Diplomaten Octavio Paz zum Träger des Friedenspreises 1984. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 7. Oktober 1984, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Begründung der Jury
Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1984 Octavio Paz, dem mexikanischen Lyriker, Essayisten, Kritiker und Diplomaten, für den poetische und politische Moral untrennbar sind.
Die Freiheit ist für ihn Grundvoraussetzung für das Miteinander der Menschen. Er beschwört sie in seinen Gedichten, verteidigt sie in seinen Essays und lebt für sie als Bürger und Mensch.
Chronik des Jahres 1984
+++ Bei dem Besuch von Bundeskanzler Kohl im Januar 1984 in Israel, um die entstandenen Unstimmigkeiten auszuräumen, die sich wegen geplanter Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Saudi-Arabien entwickelt hatten, wird die deutsche Nationalhymne erstmals öffentlich in Israel gespielt. Kurz danach hebt der israelische Rundfunk auch den Boykott der Werke von Richard Strauss und Richard Wagner auf. +++ Der über die Parteigrenzen hinweg populäre Richard von Weizsäcker wird im Mai mit großer Mehrheit zum sechsten Bundespräsidenten gewählt. +++ Die im August in Los Angeles stattfindenden Olympischen Sommerspiele werden mit Ausnahme Rumäniens von allen Ostblock-Staaten boykottiert, weil die Sicherheit der Sportler nicht gewährleistet sei. Inoffiziell wird das Ausbleiben als Revanche für den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 gewertet. +++ Frankreichs Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl setzen am 22. September auf dem blutigsten Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges, in Verdun, ein Zeichen der Freundschaft. Hand in Hand gedenken sie gemeinsam der Gefallenen. +++ Am 31. Oktober wird die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi von zwei Mitgliedern ihrer Leibwache erschossen. Die Täter gehören der Religionsgemeinschaft der Sikhs an, deren Nationalheiligtum, der Goldene Tempel in Amritsar, im Juni von Regierungstruppen erstürmt worden war. +++ In der indischen Stadt Bhopal sterben im Dezember etwa 2000 Menschen an den Folgen einer Giftgaskatastrophe. Das Ausströmen von hochgiftigen Gasen aus einem undichten Ventil einer Pflanzenschutzmittelfabrik führt zu dem Unglück, das auch Tausende von Menschen das Augenlicht kostet. +++
Biographie Octavio Paz
Der am 31. März 1914 in Mexico City geborene Octavio Paz gründet bereits im Alter von 17 Jahren eine eigene Literaturzeitschrift und veröffentlicht wenig später seinen ersten Gedichtband Luna Silvestre (1933). Er studiert Jura und Philosophie in Mexico City, bricht die Ausbildung ab und zieht nach Yukatan, wo er 1937 eine Schule für Arme mitbegründet.
Paz setzt sich fortan für die Arbeiterbewegung ein, distanziert sich allerdings nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der Kommunistischen Partei. 1943 tritt Paz in den diplomatischen Dienst ein und wird 1946 nach Paris entsandt. Dort kommt er mit den Surrealisten in Kontakt und schließt mit André Breton Freundschaft.
Von 1946 bis 1968 vertritt er Mexiko als Diplomat in Indien, Frankreich und Japan. 1968 tritt er aus Protest gegen das Massaker an demonstrierenden Studenten auf dem Platz der drei Kulturen in seiner Heimatstadt von seinem Posten zurück. Danach lehrt er an verschiedenen Universitäten.
Der Schriftsteller Octavio Paz hat als Essayist und Dichter mehr als 50 Bände und ein Theaterstück publiziert. In seinen Essays beschäftigt er sich vor allem mit der mexikanischen Identität und ihren Mythen. Liebe und Erotik, Verlorenheit und Einsamkeit, Vergangenheit und Erinnerung sind seine lyrischen Themen. 1990 erhält er den Nobelpreis für Literatur.
Octavio Paz stirbt am 20. April 1998 im Alter von 84 Jahren.
Aus der Friedenspreisrede
»Der einfachste und wesentlichste Ausdruck der Demokratie ist der Dialog, und der Dialog öffnet die Türen des Friedens. Nur wenn wir die Demokratie verteidigen, wird es uns möglich sein, den Frieden zu bewahren.
Von diesem Prinzip leiten sich, meiner Meinung nach, drei weitere ab. Das erste: Unablässig den Dialog mit dem Gegner suchen. Dieser Dialog erfordert Standhaftigkeit und Nachgiebigkeit, Flexibilität und Festigkeit zugleich.
Das zweite: Weder der Versuchung des Nihilismus erliegen noch sich durch den Terror einschüchtern lassen. Die Freiheit gibt es nicht vor dem Frieden, aber auch nicht nach ihm: Frieden und Freiheit sind unauflöslich miteinander verbunden. Sie voneinander trennen heißt, der Erpressung des Totalitarismus erliegen und am Ende das eine wie das andere verlieren.
Das dritte: Erkennen, daß die Verteidigung der Demokratie in unserem eigenen Land untrennbar ist von der Solidarität mit jenen, die in den totalitären Ländern oder unter den Gewaltherrschaften und Militärdiktaturen in Lateinamerika und anderen Kontinenten für sie kämpfen. Indem die Dissidenten für die Demokratie kämpfen, kämpfen sie für den Frieden – kämpfen sie für uns.«
Laudator Bundespräsident Richard von Weizsäcker
Bibliographie