Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den deutschen Arzt und Theologen Albert Schweitzer zum Träger des Friedenspreises 1951. Die Verleihung findet erstmals während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 16. September 1951, in der Paulskirche statt. Die Laudatio hält Bundespräsident Theodor Heuss.
Begründung der Jury
Im Namen der deutschen Verleger und Buchhändler verleihen wir
Herrn Professor Dr. Albert Schweitzer
den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Dank und Ehre wird dadurch bezeugt, dem mutigen und tapferen Vorkämpfer für das friedliche Werk an den Armen und Schwachen, dem Manne, der in einem langen, mühe- und opfervollen, erfolgreichen Leben in Wort und Tat für die Ziele eines edlen Menschentums wirkte, in Zeiten, in denen die Menschen und Völker durch Zwiespalt, Haß und Kriege sich an den Rand des Abgrundes brachten.
Wir bekunden durch die Stiftung des Preises unseren eigenen Willen, mit allen Kräften an der Erhaltung und Festigung des Friedens und der Freiheit aller Völker der Welt mitzuarbeiten.
Chronik des Jahres 1951
Das Jahr 1951 steht im Zeichen des europäischen Zusammenwachsens. Im März erhält die Bundesrepublik begrenzte Souveränität in außenpolitischen und wirtschaftlichen Bereichen. Am 18. April wird die Montanunion gegründet, einer der Grundpfeiler der späteren Europäischen Gemeinschaft. Im Mai billigt der Europarat die Aufnahme der Bundesrepublik als vollberechtigtes Mitglied des Rates. + + + Im gleichen Monat erringt die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) bei den Landtagswahlen in Niedersachsen elf Prozent der Stimmen. + + + Großbritannien erklärt im Sommer die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland, Frankreich und die USA folgen. + + + Das Zentralkomitee der SED beschließt am 17. März den Kampf gegen den »Formalismus« in Kunst und Literatur. So muss Paul Dessaus am selben Tag uraufgeführte Oper »Das Verhör des Lukullus«, mit dem Text von Bertolt Brecht, umgeschrieben werden. + + + Im August wird das erste Stalin-Denkmal in Deutschland in Ost-Berlin enthüllt. Die Volkskammer beschließt im Herbst das Gesetz über den Fünfjahresplan, den Beginn der zentralen staatlichen Planwirtschaft für langfristige Wirtschaftslenkung. + + + Im Juli wird die Sozialistische Internationale in Frankfurt am Main wiedergegründet. Am 8. September wird in San Francisco der Friedensvertrag von 48 Staaten mit Japan unterzeichnet. + + + In Tirol wird das erste SOS-Kinderdorf eröffnet, es bietet heimatlosen Kindern Betreuung in familienähnlichen Gemeinschaften. + + + Auf der Sitzung des Deutschen PEN-Zentrums im Oktober spaltet sich die bisher gesamtdeutsche Schriftstellervereinigung. Die Gründung des westdeutschen PEN-Zentrums findet am 4. Dezember in Darmstadt statt. Präsident wird Erich Kästner.
Biographie Albert Schweitzer
Nach seinem Theologiestudium geht Albert Schweitzer, geboren am 14. Januar 1875 in Kaysersberg, im Jahr 1900 als junger Gemeindepfarrer nach Straßburg und wird dort ein Jahr später Leiter des theologischen Seminars.
Von 1905 bis 1913 absolviert er ein Medizinstudium und macht sich danach auf den Weg nach Lambaréné (im heutigen Gabun), wo er als Missionsarzt arbeitet und ein Tropenhospital gründet.
In den Kriegsjahren 1917/18 ist Schweitzer als deutscher Staatsangehöriger in Frankreich interniert. Nach dem Krieg hält er in Schweden Vorträge über seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben.
Mit Orgelkonzerten sammelt er Geld und kehrt 1924 nach Afrika zurück. Mühsam baut er das Hospital in Lambaréné wieder auf und richtet eine spezielle Abteilung für die Behandlung von Leprakranken ein.
Ein Jahr nach der Verleihung des Friedenspreises 1951 erhält Schweitzer den Friedensnobelpreis. Fortan tritt er verstärkt gegen die todbringende Spirale der atomaren Aufrüstung an und sieht im Pazifismus ein entscheidendes Gegengewicht. Trotz großen Unbehagens spricht er sich für eine einseitige Abrüstung aus, in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit eine weltbejahende, friedliche Kultur entwirft und somit Verantwortung für Krieg und Frieden übernimmt. Sein Appell an die Menschheit wird 1957 von rund 150 Radiosendern übertragen.
Schweitzers literarisches Werk umfasst neben seinen theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen über Ethik und seinen Erlebnisberichten aus Afrika auch zahlreiche musikologische Werke.
Albert Schweitzer stirbt am 4. September 1965 im Alter von 90 Jahren.
Aus der Rede
„Und wir können nichts anderes, als unsere Hoffnung darauf setzen, daß der Geist der Humanität, dessen wir bedürfen, in unserer Zeit wieder aufkomme.
Aber verlangen wir nicht etwas Unmögliches. Wie soll der Geist, der die Kraft verloren hat, sie wieder finden? Und doch ist Aussicht, daß er sie wieder findet. Es geht etwas vor in unserer Zeit, was uns dies erhoffen läßt. Der Geist der Humanität ist nicht tot. Er lebt in der Verborgenheit, und er hat es überwunden, daß er ohne Welterkenntnis sein muß. Es ist ihm klargeworden, daß er sich aus nichts anderem zu begründen hat als aus dem Wesen des Menschen, und damit hat er eine Selbständigkeit gewonnen, die eine Stärke ist. Und weiter ist er zu der Erkenntnis fortgeschritten, daß dieses Mitempfinden erst seine wahre Weite und Tiefe hat und damit erst die wahre Lebenskraft, wenn es sich nicht nur auf den Mitmenschen, sondern auf alles Lebendige, das in unseren Bereich tritt, bezieht. Er braucht keine andere Lebens- und Welterkenntnis mehr als die, daß alles, was ist, Leben ist und daß wir allem, was ist, als Leben, als einem höchsten unersetzlichen Wert Ehrfurcht entgegenbringen müssen.
Keine Naturwissenschaft kann der Humanitätsgesinnung diese einfachste Erkenntnis nehmen, denn sie ist letzten Endes die, bei der jede Naturwissenschaft, als der eigentlichen und einfachsten, haltmacht, daß alles, was ist, belebt ist. Und so bereitet sich in den Stürmen dieser Zeit vor, daß die Hu-manitätsgesinnung, die das Wesen unserer Kultur ausmachte, wieder erstehen wird und daß diese Humanitätsgesinnung uns aus der Not, in der wir uns befinden, herausführen kann.“
Laudator Theodor Heuss
Bibliographie (Auswahl)
"Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu" (1901)
"Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu" (1901)
"Jean-Sébastien Bach, le musicien-poète" (1905)
"Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" (1906)
"Deutsche und französische Orgelbaukunst" (1906)
"Von Reimarus zu Wrede" (1906)
"Geschichte der paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart" (1911)
"Geschichte der Leben - Jesu - Forschung" (1913)
"Die psychiatrische Beurteilung Jesu. Darstellung und Kritik" (1913)
"Zwischen Wasser und Urwald. Erlebnisse eines Arztes im Urwalde Äquatorialafrikas." (1921)
"Verfall und Wiederaufbau der Kultur. - Kulturphilosophie I" (1923)
"Kultur und Ethik. - Kulturphilosophie II" (1923)
"Das Christentum und die Weltreligionen" (1923)
"Aus meiner Kindheit und Jugendzeit" (1924)
"Die Mystik des Apostels Paulus" (1930)
"Aus meinem Leben und Denken" (1931)
"Die Weltanschauung der indischen Denker. Mystik und Ethik" (1935)
"Goethe. Vier Reden" (1950)
"Das Problem des Friedens in der heutigen Welt" (1954)
"Afrikanische Geschichten" (1955)
"Friede oder Atomkrieg" (1958)
Nach seinem Tode 1965 sind erschienen:
"Reich Gottes und Christentum" (1995)
"Straßburger Vorlesungen" (1998)
"Die Weltanschauung der Ehrfurcht vor dem Leben. Kulturphilosophie III" (1999)
"Predigten 1898 - 1948" (2001)
"Kultur und Ethik in den Weltreligionen" (2001)
"Geschichte des chinesischen Denkens" (2002)
"Vorträge, Vorlesungen, Aufsätze" (2003)
"Wir Epigonen" (2005)
Albert Schweitzers Rede zum Anhören: