1982 wird der jüdische US-amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan (1904-2005) mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Verleihung findet am Sonntag, den 10. Oktober 1982, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Carl Friedrich von Weizsäcker.
Begründung der Jury
Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1982 George F. Kennan, dem Diplomaten, Historiker und Rußland-Experten, der seit fast fünf Jahrzehnten - Geschichte mitgestaltend und Geschichte schreibend - in das weltpolitische Geschehen verwoben ist.
Er hat jenseits der jeweiligen Opportunität und oft genug gegen die Interessen der Mächtigen immer wieder versucht, die Akteure auf der Bühne ost-westlicher Rivalität davon zu überzeugen, daß der Frieden durch politisches Handeln gesichert werden muss und nicht durch militärische Vorkehrungen. Sein Kampf richtet sich gegen das Wettrüsten, seine Hoffnung auf eine Welt ohne Atomwaffen.
Chronik des Jahres 1982
+++ Nachdem argentinische Truppen im April die Inselgruppe »Islas Malvinas« erobern, die Großbritannien 1833 besetzt und in »Falklandinseln« umgetauft hat, schickt Premierministerin Thatcher mehr als 40 Schiffe der Royal Navy in das Krisengebiet. +++ Währenddessen gewinnt die Sängerin Nicole mit dem Lied Ein bißchen Frieden den »Grand Prix Eurovision de la Chanson«. +++ Nach einigen Wochen stehen die Falklandinseln wieder unter britischer Oberhoheit. Im Falklandkrieg starben mehr als 900 Soldaten, mehr als 1 800 wurden verwundet. Die Zahl der Veteranen, die sich, traumatisiert von diesem Krieg, das Leben nahmen, erreichte fast die Zahl der Gefallenen. +++ Israelische Truppen marschieren im Juni im Libanon ein, von wo aus palästinensische Terroraktionen gegen Israel immer wieder ihren Ausgang nehmen. Unter großen Verlusten der libanesischen Zivilbevölkerung bringen die israelischen Truppen die Südhälfte des Landes unter ihre Kontrolle. +++ Die Friedensbewegung erreicht einen weiteren Höhepunkt: Als am 10. Juni in Bonn ein NATO-Gipfeltreffen stattfindet, demonstrieren in der Stadt rund 400 000 bis 500 000 Menschen für den Frieden. +++ Nach einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt wählt der Bundestag am 1. Oktober Helmut Kohl zum sechsten Bundeskanzler der Bundesrepublik. +++ Mitte November wird der Vorsitzende der verbotenen polnischen Gewerkschaft Solidarnoœæ, Lech Walesa, nach elfmonatiger Internierung freigelassen. +++
Biographie George F. Kennan
Der am 16. Februar 1904 in Milwaukee / Wisconsin geborene Historiker George F. Kennan ist seit 1926 im diplomatischen Dienst der USA tätig und eignet sich während seiner Arbeit in mittel- und osteuropäischen Ländern einen großen Erfahrungs- und Kenntnisreichtum an. Er arbeitet in Hamburg und Talinn, anschließend in Riga, Berlin und Moskau.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird er von Prag nach Berlin versetzt und nach der deutschen Kriegserklärung an die USA für einige Zeit inhaftiert. Zwischen 1944 und 1946 ist er Berater des amerikanischen Botschafters in Moskau und maßgeblich an der Erarbeitung der amerikanischen Politik der Eindämmung gegenüber den kommunistischen Staaten beteiligt. 1951 geht er als Botschafter nach Moskau. Mit seinem ein Jahr später veröffentlichten Buch American Diplomacy 1900–1950 findet er auch als Geschichtsschreiber große Anerkennung.
1953 tritt er aus dem diplomatischen Dienst aus und lehrt bis 1961 in Princeton Geschichte. Seine kritischen Äußerungen zur Entwicklung der Beziehungen zwischen USA und UdSSR nehmen in dieser Zeit zu. Kennan wird zu einem Befürworter der Mitte der 60er Jahre einsetzenden Politik der Entspannung zwischen den Blöcken.
In den 80er Jahren erhebt er seine Stimme gegen den nuklearen »Overkill« und begleitet bis zu seinem Tod die US amerikanische Außenpolitik mit kritischem Blick.
George F. Kennan stirbt am 17. März 2005 im Alter von 101 Jahren.
Aus der Friedenspreisrede
»Ich sehe keinen politischen Konflikt zwischen dem Osten und dem Westen, der die vitalen Interessen der einen oder der anderen Seite so empfindlich bedrohen oder betreffen würde, daß seine Lösung im gewünschten Sinne die Katastrophe gar eines konventionellen Krieges, geschweige denn eines nuklearen Krieges, wert wäre.
Die Sachlage, mit der wir hier zu tun haben, ist uns allen bis zum Überdruß bekannt. Der Zweite Weltkrieg hat zu einem Zustand geführt – der Spaltung Deutschlands und Zentraleuropas –, der keine der beiden Seiten voll befriedigt, den keine als die permanente, definitive Ordnung Europas akzeptieren möchte, wobei aber die Ansichten, wie dieser Zustand abzuändern wäre, weit auseinandergehen.
Abgesehen aber von dem gefährlichen, diesen Zustand begleitenden Rüstungswettkampf ist der Zustand an und für sich nicht unerträglich. Unerwünscht und unbehaglich schon, unerträglich aber nicht. Man lebt ja schon 37 Jahre mit diesem Zustand und ohne Krieg.
In verschiedener Hinsicht ist es sogar gelungen, ihn zu lindern; und nichts weist darauf hin, daß mit genügender Geduld und gutem Willen er nicht auch in Zukunft weiter gelindert werden könnte.«
Laudator Carl Friedrich von Weizsäcker
Bibliographie